Was passiert, wenn ein Algorithmus eine Abkürzung nimmt? Wie funktioniert eigentlich Deep Learning? Und welchen Einfluss haben Empfehlungsalgorithmen auf unser Konsumverhalten? Auch diese Woche mangelt es in den von uns ausgewählten Texten nicht an Fragen zu „Algorithmenethik“. Zum Glück gibt’s auch die ein oder andere Antwort. Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen.
Wir freuen uns, wenn Sie Erlesenes weiterempfehlen und an interessierte Menschen weiterleiten!
Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: carla.hustedt@bertelsmann-stiftung.de
?Künstliche Intelligenz: Die wahre Revolution steht noch aus
(Artificial Intelligence – The Revolution Hasn’t Happened Yet), 19. April 2018, Medium
Die öffentliche Diskussion über künstliche Intelligenz (KI) konzentriert sich auf eine kleine Teilmenge der Wirtschaft und der Wissenschaft und lenkt so von den weitaus größeren Möglichkeiten der Softwarerevolution ab. Diese Sorge artikuliert Michael I. Jordan, Professor für Elektroingenieurwesen, Computerwissenschaften und Statistik der University of California, Berkeley, in diesem tiefgründigen Essay. Den derzeitigen Status quo vergleicht Jordan mit den ersten Versuchen, primitive Brücken zu bauen, noch bevor die Lehre des Tiefbaus erfunden war. Um die großen Potenziale neuer Technologien zu nutzen, bedarf es einer neuen Disziplin, die Informatik und Statistik miteinander verschmilzt und zugleich sozialwissenschaftliche Perspektiven mit einbezieht. Das Ziel müsse es sein, das menschliche Leben zu verbessern, indem Systeme entwickelt werden, die über die Imitation spezifischer menschlicher Fähigkeiten hinausgehen. Statt immer nur die magischen Kräfte einer ominösen künstlichen Intelligenz zu beschwören, müsse der Schwerpunkt künftig auf der Entwicklung von “Intelligence Augmentation” (IA) sowie “Intelligent Infrastructure” (II) liegen.
?Wenn der Algorithmus unseren Geschmack steuert
(Style Is an Algorithm), 17. April 2018, Racked
Stellen Sie sich vor, Kleidungsstücke, Musik, Filme, Kunst und Bücher wären mit einem Hinweis “frei von Algorithmen” versehen, genauso wie heute Lebensmittel das “Bio”-Label tragen – dieses mögliche (aber wohl unwahrscheinliche) Zukunftsbild zeichnet der freie Journalist und Buchautor Kyle Chayka in seinem Essay zu einer, wie sich während des Lesens herausstellt, äußerst komplizierten Frage: Was bedeutet es für persönlichen Geschmack und Stil, wenn die Auswahl nicht von Menschen, sondern von Algorithmen getroffen wird? Mode lebt von Zufällen und vermeintlich willkürlichen Entscheidungen einzelner Personen. Durch den Einsatz von Algorithmen werden Entscheidungen systematisiert, das Zufallselement verschwindet. „In“ ist, was gerade am meisten getragen wird. Wenn uns etwas gefällt, so wird der Algorithmus uns in Zukunft ähnliche Produkte empfehlen. Dahinter steht der Versuch, unsere Aktivität beim und Bindung an den jeweiligen Dienst zu steigern, so Chaykas. Die mit vielen (pop-)kulturellen Referenzen versehenen Überlegungen lassen erahnen, dass der Aufstieg algorithmischer Kuration unser besonderes Verhältnis zu Mode, Trends und Stil und unsere Art zu konsumieren grundlegend verändern könnte.
?Pedro Domingos über das globale Wettrüsten bei Künstlicher Intelligenz
(Pedro Domingos on the Arms Race in Artificial Intelligence), 16. April 2018, Spiegel Online
Eine leistungsfähige künstliche Intelligenz (KI) könne die Arbeit von einer Million Menschen erledigen. Ein Land mit einer solchen Technologie könne tausendfach mehr Wissen produzieren als eines ohne. So schildert der Professor, KI-Experte und Buchautor Pedro Domingos die geopolitischen Anreize für das derzeit stattfindende Wettrüsten bei künstlicher Intelligenz. In einem ausführlichen, mit vielen knackigen Zitaten gespickten Interview kommentiert Domingos die Bedeutung von KI für Politik und globale Dominanz – speziell mit Fokus auf das Aufbäumen Chinas –, die Rolle der IT-Großkonzerne sowie den Pessimismus der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Frankreich in Sachen KI. Europa verpasse gerade den Anschluss, befürchtet Domingos, der zwar auch Risiken sieht, sich aber dennoch für einen chancenorientierten Ansatz ausspricht. Das Interview gibt es hier auch in deutscher Fassung, allerdings kostenpflichtig.
?Deep Learning: Es ist Zeit für eine Demokratisierung der Technologie
18. April 2018, JAXenter
Deep Learning gehört zu den Hauptreibern der jüngsten Fortschritte im Bereich künstlicher Intelligenz. Doch als Laie ist es schwierig, sich ein grundsätzliches Verständnis über das Verfahren zu verschaffen, da Lektüre zum Thema meist Fachwissen erfordert. Dieses Interview mit den zwei Deep-Learning-Experten Shirin Glander und Uwe Friedrichsen stellt eine angenehme Ausnahme dar: Das Duo erklärt auf verständlich Weise das übergeordnete Grundprinzip dieses Ansatzes, der in der Theorie bereits Jahrzehnte alt ist, aber erst jetzt dank wachsender Rechenleistung und Datenmengen praktisch umsetzbar wurde. Die Zwei problematisieren die Konzentration von Deep-Learning-Expertise bei einigen wenigen Großkonzernen sowie ethische Implikationen des Einsatzes von Algorithmen (mit denen regelmäßige Leserinnen und Leser von Erlesenes gut vertraut sein dürften). Zudem erläutern Glander und Friedrichsen, wie man selbst Deep Learning einsetzen kann und welches Minimumniveau an Vorwissen notwendig ist.
?Wenn Algorithmen uns überraschen
(When algorithms surprise us), 13. April 2018, AI Weirdness
Wenn man einem lernfähigen Algorithmus eine Aufgabe gibt, kann es passieren, dass dieser einen völlig anderen Weg zur Lösung findet, als es sich die Programmierer vorgestellt haben. Die Wissenschaftlerin Janelle Shane liefert in diesem Blogpost eine Auswahl an Beispielen für derartige Fälle, basierend auf einem jüngst veröffentlichten Forschungspapier (PDF). Im Beitrag erwähnt sie unter anderem eine Bilderkennungssoftware, die Schafe finden sollte, aber stattdessen Gras zu erkennen lernte (siehe Algorithmenethik Erlesenes #15), sowie eine KI, die in einem alten Atari-Computerspiel einen Fehler fand, der ihr erlaubte, ohne fortgesetztes Spielen eine enorme Menge an Punkten einzuheimsen. Auch beschreibt die Computeringenieurin einen Algorithmus, der eine Liste mit Nummern sortieren sollte, sich aber stattdessen beibrachte, die Liste einfach zu löschen – womit sie ja auch nicht mehr unsortiert war. Shanes Fazit: KI-Programmierer müssen achtsam sein, wenn ihre Kreationen Abkürzungen nehmen, da dies dazu führen kann, dass die tatsächliche Aufgabe nicht gelöst wird.
Das war‘s für diese Woche. Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: carla.hustedt@bertelsmann-stiftung.de
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