Algorithmen bestimmen über die Werbung, die wir sehen, entscheiden über die Vergabe von Krediten und Studienplätzen oder machen uns auf Datingportalen Vorschläge für passende Partner. Jede:r Einzelne von uns ist Tag für Tag von Entscheidungen betroffen, die Algorithmen für und über uns treffen. Doch was wissen und denken die Menschen in Europa eigentlich über Algorithmen? Dieser Frage sind wir in einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage nachgegangen. Die Resultate sind eindeutig: Die Europäer:innen wissen wenig über Algorithmen.
„Algorithmus“ ist zu einem Schlagwort unserer Zeit geworden, das in kaum einer Debatte in Politik und Wirtschaft fehlt. Auch die mediale Berichterstattung über Algorithmen nimmt deutlich zu – mittlerweile schafft es das Thema sogar auf die Titelseite von Zeitungen. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – lohnt es sich, unter die Oberfläche der Debatte zu schauen und zu fragen, ob den Bürger:innen eigentlich bewusst ist, wo Algorithmen zum Einsatz kommen und wie algorithmische Systeme funktionieren. Im Mai 2018 veröffentlichten wir die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, in der die Deutschen nach ihren Kenntnissen und Einstellungen zum Thema Algorithmen befragt wurden. Unsere Erhebung ergab: In Deutschland herrscht weitverbreitetes Unwissen über Algorithmen, eine große Unentschlossenheit hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken sowie ein erhebliches Unbehagen gegenüber Urteilen und Entscheidungen, die von Algorithmen getroffen werden. Die Umfrage zeigte, dass in Deutschland eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Chancen und Risiken algorithmischer Entscheidungsfindung noch nicht begonnen hatte.
Wir haben die Ergebnisse der deutschlandweiten Bevölkerungsumfrage und die aktuelle politische Dynamik rund um das Thema Algorithmen und Künstliche Intelligenz zum Anlass genommen, unseren Blick auf die europäische Ebene zu erweitern. Schließlich ist der zunehmende Einfluss algorithmischer Systeme nicht national begrenzt, sondern eine weltweite Entwicklung. Gerade die Europäische Union (EU) versucht, sich bei der gesellschaftlichen Einbettung von Algorithmen und KI als Gegengewicht zu Vorreitern wie den USA und China zu positionieren. Doch was wissen die Europäer:innen eigentlich über Algorithmen? Wo ist ihnen deren Einsatz bekannt und welche Assoziationen gehen damit einher? Sieht die europäische Bevölkerung algorithmische Entscheidungsfindung eher als Vorteil oder als Risiko?
Wissen als Grundlage: Kompetenzen für einen informierten Diskurs aufbauen
Die Ergebnisse unserer europaweit repräsentativen Bevölkerungsumfrage sind auch diesmal ernüchternd: Fast die Hälfte der Europäer:innen weiß nicht, was Algorithmen sind und dass sie schon in vielen Lebensbereichen eingesetzt werden. Die Resultate zeigen, dass die Debatte zu diesem Thema auch europaweit noch am Anfang steht, obwohl Algorithmen bereits heute unseren Alltag beeinflussen. Dennoch ist festzustellen: Trotz des mangelnden Wissens sehen die Menschen in Europa mehr Vorteile als Probleme im Einsatz von Algorithmen. Dieser Anteil steigt mit dem Vorwissen über Algorithmen. Wer viel über Algorithmen weiß, begegnet dem Thema mit einer positiveren Grundhaltung, ohne gleichzeitig die Risiken aus den Augen zu verlieren.
Wenn Menschen nichts über einen Sachverhalt wissen, können sie nur blind vertrauen oder intuitiv misstrauen. Ziel muss daher ein breiter Kompetenzaufbau in der Bevölkerung sein, um so eine überlegte Meinungsbildung und eine sachlich-zielgerichtete Debatte zu ermöglichen. Aufgeklärte Staatsbürger brauchen ein Grundverständnis („Algorithmic Literacy“) über die algorithmische Welt, um heutzutage eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnehmen und dieses mitgestalten zu können.
Vertrauen als Schlüssel: Effektive Kontrollmechanismen etablieren
Die Ergebnisse der Umfrage machen deutlich, dass die Europäer:innen Algorithmen nicht unüberlegt eingesetzt sehen wollen. Sie assoziieren trotz grundsätzlich wahrgenommener Potenziale zu einem großen Teil negative Begriffe mit ihnen. Europa sieht im Einsatz von Algorithmen zu 34 Prozent einen Machtgewinn für Programmierer:innen. Daher wird gefordert, dass der Mensch insbesondere in teilhaberelevanten Einsatzbereichen weiterhin eine tragende Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund wünscht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung stärkere Kontrollen von Algorithmen.
Letztendlich werden nur effektive Kontrollmechanismen dazu führen können, dass das Vertrauen in algorithmische Systeme steigt und sich ihre Vorteile für die Gesellschaft entfalten können. Die meistgeforderten Ansätze, wie ein Recht auf eine zweite Meinung, eine Kennzeichnungspflicht für Algorithmen sowie eine Verbesserung der Nachvollziehbarkeit algorithmischer Entscheidungen, liefern Ideen, wie eine solche Kontrolle konkret aussehen kann. Dabei wird nur ein breites Spektrum an Maßnahmen dafür sorgen können, eine gemeinwohlorientierte Gestaltung von Algorithmen sicherzustellen.
Europa als Fokus: Von anderen Ländern lernen und gemeinsam handeln
Diese Umfrage liefert als eine der ersten überhaupt europaweite Zahlen zur Haltung gegenüber Algorithmen. Das verdeutlicht, wie sehr die europäische Perspektive in der gesellschaftlichen Debatte zu diesem Thema noch fehlt. Insbesondere im Zuge des Inkrafttretens der EU-Datenschutz-GrundverordnungDSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) Ein EU-Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre von EU-Bürgern. (DSGVODSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) Ein EU-Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre von EU-Bürgern.) hat sich gezeigt, dass nicht nur nationale Regierungen, sondern auch Europa als Ganzes die digitale Sphäre wirksam gestalten kann. Gleichzeitig führt der Vergleich zwischen den sechs bevölkerungsreichsten EU-Ländern vor Augen, dass es durchaus gewisse Unterschiede im Wissen und in der Meinung über Algorithmen gibt.
Deshalb gilt es, Europa in zweierlei Hinsicht mehr in den Fokus zu nehmen. Einerseits lohnt sich ein Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus. So sticht beispielsweise Polen in der Umfrage mit einem überdurchschnittlich hohen Vorwissen und einer besonderen Offenheit gegenüber Algorithmen hervor, während die Debatte in Deutschland zwar kritisch, aber ausgewogen erscheint. Hier können die EU-Mitgliedstaaten gegenseitig voneinander lernen. Andererseits kann und muss der Diskurs zum Einsatz von Algorithmen auch europaweit gedacht und geführt werden. Bei der gemeinwohlförderlichen Gestaltung von Algorithmen sollte die EU als starker Akteur auftreten, um ihren durchaus auch globalen Einfluss geltend zu machen. Im weiteren Verlauf wird es wichtig sein, nicht einfach die Strategien anderer großer Wirtschaftsmächte zu kopieren, sondern die Markt- und Regulierungsmacht der EU für eine ethisch verantwortungsvolle Nutzung von Algorithmen einzusetzen.
Diese Studie entstand in Kooperation mit dem Projekt eupinions der Bertelsmann Stiftung sowie Dalia Research. Genauere Informationen zur Methodik der Umfrage sind in Kapitel 1 der Studie zu finden.
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