In dieser Ausgabe steht der Mensch im Zentrum: Sollten wir uns erst einmal mit dem Intelligenzbegriff als solchem beschäftigen, ehe wir Künstlichen „Intelligenzen“ Kontrolle über unser Leben einräumen? Würden KI-Systeme intelligenter, wenn sie sich am Denken von Kindern orientieren würden? Fordert KI unser menschliches Selbstverständnis heraus? Um diese und viele weitere spannende Fragen und (Meinungs-)Beiträge geht es im neuen Erlesenes-Newsletter.
Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen. Wir freuen uns stets sehr über Vorschläge für Erlesenes von unseren Leser:innen. Wer einen spannenden Text gefunden hat, kann uns diesen gerne per E-Mail an carla.hustedt@bertelsmann-stiftung.de zukommen lassen.
?Ein (cleverer) Ansatz, um von KI generierte Texte zu entlarven
(It takes a bot to know one?), 9. März 2019, AI Weirdness
Weil Algorithmen für die Generierung von Texten immer leistungsfähiger werden, haben Menschen verstärkt Schwierigkeiten, KI-Kreationen als solche zu entlarven. Doch was, wenn man einen Textgenerator in eine Art Detektor für maschinengenerierte Texte umfunktioniert? Ein Team aus Forscher:innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard University hat dies erfolgreich mit dem jüngst für viel Wirbel sorgenden Textgenerator der Initiative OpenAI (siehe Erlesenes #57) realisiert. Die Wissenschaftlerin Janelle Shane kommentiert in diesem Blogpost ihre eigenen, ebenfalls positiven Ergebnisse mit dem Detektor. Sie fütterte ihn allerdings auch mit Texten von anderen Künstlichen Intelligenzen als der von OpenAI – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Shanes Fazit dazu: Der besagte algorithmische Detektor hält seltsamerweise gerade solche Texte für von Menschen verfasst, die besonders zusammenhanglos sind – auch dann, wenn sie von einer Maschine erzeugt wurden. Eine Live-Demo zum Ausprobieren des Detektors gibt es hier.
?Kinder als Schlüssel zu intelligenten Maschinen
(Kids’ brains may hold the secret to building better AI), 28. Februar 2019, Vox
Anstatt das Denken von Erwachsenen zu simulieren, solle sich das Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI) am Denken von Kindern orientieren. Das riet der berühmte Mathematiker und Computerwissenschaftler Alan Turing bereits im Jahr 1950. Erst jetzt jedoch finde dieser Ratschlag verbreitet Anklang, berichtet die Psychologie- und Philosophie-Professorin, KI-Expertin und Autorin Alison Gopnik im Gespräch mit der Vox-Journalistin Sigal Samuel. Dass die faszinierenden, bislang von Algorithmen unerreichten Lern- und Denkprozesse von Menschen in ihren ersten Lebensjahren so lange von der KI-Forschung vernachlässigt wurden, habe womöglich mit der einst nicht hinterfragten gesellschaftlichen Sicht auf Kinder als reine “Frauensache” zu tun, vermutet Gopnik. Doch auch wenn sich inzwischen einiges bewegt, sei KI noch meilenweit von “Intelligenz” entfernt. “Als Menschheit sollten wir uns mehr vor natürlicher Dummheit als vor KI fürchten”, so die Professorin.
?Literatur und KI: Vernunft ist auch eine Herzenssache
10. März 2019, faz.net
“Das Menschlichste, das wir haben, ist ja doch die Sprache, und wir haben sie, um zu sprechen”, schrieb Theodor Fontane vor kaum 150 Jahren. Doch gilt das auch weiterhin, nun wo Maschinen sich diese Sprache ebenfalls aneignen? Diese und zahlreiche weitere Fragen stellt die Schriftstellerin Ulla Hahn in diesem Essay, in dem sie zum Nachdenken darüber anregt, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Literatur, die Poesie und das Verständnis vom Menschsein generell verändert. Viele ihrer Fragen lässt sie bewusst unbeantwortet. Klar sei für sie jedoch, dass die Konfrontation mit KI das Bewusstsein für die eigene Menschlichkeit schärft. Das „dünne Häutchen Zivilisation“, das die Menschheit am Leben halte, sei „nicht in erster Linie unserem Wissen zu verdanken, sondern dem einen großen Gefühl: der Liebe“.
?Künstliche Intelligenz erfordert es, den Intelligenzbegriff zu hinterfragen
(What intelligence is), 10. März 2019, tante.cc
Im Zeitalter “Künstliche Intelligenz” sei es notwendig, den Intelligenzbegriff an sich zu hinterfragen. So argumentiert der Wissenschaftler Jürgen Geuter (alias „tante“) in diesem provokanten politischen Beitrag. Sowohl historisch als auch heute noch sei das Attribut vor allem ein (sub-)kultureller Wertebegriff, der bestimmten Individuen oder Personengruppen in verschiedenem Ausmaß und teilweise direkt abhängig von der angenommenen sozialen Identität (z. B. Ethnie, Geschlecht, akademischer Status) zugeordnet oder vorenthalten werde. Zwar gebe es mittlerweile scheinbar objektive Messinstrumente für Intelligenz. Doch diese zeigten letztlich nur, ob jemand gut darin ist, beispielsweise einen IQ-Test zu lösen. Nicht mehr und nicht weniger. Um zu verhindern, dass trivialste Systeme zur Automatisierung von Prozessen als künstliche “Intelligenz” deklariert werden und Kontrolle über unsere Gesellschaft und unser Leben erhalten, sollten wir uns dringend mit der dem Intelligenzbegriff innewohnenden Problematik beschäftigen.
?Bei der Social-Media-App TikTok steuert die Künstliche Intelligenz alles
(How TikTok Is Rewriting the World), 10. März 2019, New York Times
Die führenden sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Snapchat wirken strukturell alle im Kontext persönlicher Kontakte oder zumindest Personen mit ähnlichen Interessen. Algorithmen kommen dort zum Einsatz, um Inhalte rund um diese Kontakte zu priorisieren. Die bei über 500 Millionen (überdurchschnittlich jungen) Nutzer:innen beliebte Social-Media-App TikTok sei fundamental anders, schreibt John Herrman, Medienjournalist bei der New York Times. Bei dem von der chinesischen Firma ByteDance betriebenen Dienst stehe der Algorithmus im Vordergrund. Vom ersten Öffnen der App lerne er, was Anwender:innen wollen, und bestimme, was sie sehen. Kontaktnetzwerke spielten eine untergeordnete Rolle. Filterblasen seien im Gegensatz zur Konkurrenz bei TikTok nicht ungewollte Nebeneffekte, sondern beabsichtigt. TikTok, so Herrman, macht keinen Hehl daraus, wer bei dem Dienst die zentrale Kontrolle besitzt: die Künstliche Intelligenz (KI).
Das war‘s für diese Woche. Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: carla.hustedt@bertelsmann-stiftung.de
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