Wie Algorithmen unser Leben bestimmen und wir sie für uns nutzen können: Dieser Frage gehen meine beiden Kollegen Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt in ihrem Buch „Wir und die intelligenten Maschinen“ nach. Am 15. April im Verlag dva erschienen, sehr lesenswert und als Thema über den Blog blogs.bertelsmann-stiftung.de/algorithmenethik zur Diskussion gestellt.

Hier will ich mich auf einen Aspekt des Schlusskapitels beschränken, Seite 212 folgende: „Der europäische Weg: Werte und Wettbewerb“.

Dort plädieren die beiden Autoren für einen Dritten Weg Europas, fernab vom „autoritären Durchgriff Chinas“ wie auch der „kommerziellen Marktmacht der USA“.

Innovation und Ethik, so Dräger und Müller-Eiselt, als „untrennbar zu definieren“ – das könnte zum politischen AlleinstellungsmerkmalEuropas werden.

Es trifft sich gut, dass Anfang April von der Europäischen Kommission die „Ethics Guidelines for Trustworthy AI“ einer europäischen „High-Level Expert Group on Artificial Intelligence“ veröffentlicht wurde, die seit Juni 2018 arbeitete und im Dezember vergangenen Jahres ihren ersten, bereits viel diskutierten Entwurf  vorlegten.

Die Diskussion über den Dritten Weg der EU zwischen China und USA ist also bereits im Gang.

Fasst man das Thema etwas weiter, dann ist die EU sogar schon ein gutes Stück dieses Weges gegangen, wobei einstweilen der Weg das Ziel ist. Und wohl auch sein muss, denn die politische Entwicklung hat bei einer Abstimmung unter 27 oder 28 Mitgliedsstaaten Mühe, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.

Nein, kein Lamento hier über eine lahme, bürokratisch verkrustete Union. Im Gegenteil, auf den wichtigen Feldern der Wettbewerbskontrolle (Kommissarin Margrethe Vestagers energisches Vorgehen gegen Google und Microsoft etwa) oder bei der Urheberrichtline des Europäischen Parlaments (umstritten, okay, hier soll uns das aber nur in Klammern beschäftigen) hat diese Union gezeigt, dass sie mit China oder den USA sehr wohl mithalten kann.
Zurück zu den Algorithmen, ihrer Ethik und der zunehmenden Bedeutung der Künstlichen Intelligenz. Zurück also zur europäischen Debatte um den Dritten Weg Europas.

Manchem Kritiker waren die „Ethik-Leitlinien für eine vertrauensvolle KI“ in der Lesart der Expertengruppe zu sehr am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand ausgerichtet, mehr Glücksversprechen als Verantwortungsethik.

Die EU-Kommission muss das auch so gesehen haben. Jedenfalls betonte sie in ihrer eigenen Mitteilung, ebenfalls am 8.April mit und bewusst neben dem (oder womöglich gegen den) Expertenbericht platziert, die ethische Verantwortung deutlich – und kommt dabei in Geist und Buchstaben den Forderungen von  Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt recht nahe.

Zitat aus der Kommissions-Mitteilung zur Künstlichen Intelligenz vom 8.April dieses Jahres:

„Die KI kann der gesamten Gesellschaft und der Wirtschaft zugutekommen. Es handelt sich um eine strategische Technologie, die derzeit weltweit in rasantem Tempo entwickelt und eingesetzt wird. Dennoch bringt die KI auch neue Herausforderungen für die Zukunft der Arbeit mit sich und wirft rechtliche und ethische Fragen auf.

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„Um diese Herausforderungen anzugehen und die Chancen der KI zu nutzen, hat die Kommission im April 2018 eine Europäische Strategie veröffentlicht. Die Strategie stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklung von KI …“

Diese Union ist derzeit an vielen Stellen in ihrer Uneinigkeit arg in die Defensive geraten, beim Handelsstreit mit Präsident Trump, dem hybriden Ukraine-Krieg von Präsident Putin, bei der gigantischen Seidenstraße-Investitionsprogramm von Präsident Xi Jingping, angesichts des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer oder in ihrer Hilflosigkeit angesichts der Kriege von Libyen über Mali, Syrien, Irak und Jemen. Auf dem gefährlichen Gelände der Geopolitik bleibt die EU jedenfalls weit hinter ihren Aufgaben und Ansprüchen zurück.

„Bella figura“ machte die Gemeinschaft hingegen oft dort, wo es um verantwortlich gestaltete Märkte und gemeinsam verantwortete Rechte ging.

Die Ethik der Algorithmen und eine vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz würden da schon zu dieser Erfolgsgeschichte passen.

Das nächste Europäische Parlament, das wir Bürger in vier Wochen wählen, die künftige Kommission und ihr Präsident oder ihre Präsidentin müssen darum energisch ausgestalten, was jetzt in Umrissen auf anregende Weise vorgezeichnet wurde.

„Denn ein Maßstab“, und mit dieser Maxime enden Jörg Dräger und  Ralph Müller-Eiselt ihr Buch, „darf nie in Zweifel geraten: Maschinen müssen den Menschen dienen.”

Dieser Beitrag ist ein Gastbeitrag und bereits auf dem Global Europe Blog veröffentlicht worden.


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