Die Temperaturen steigen und wir fragen uns: Was haben Fridays for Future und Algorithmen gemeinsam? Die Antwort gibt es in einem der fünf Erlesenes-Impulse zur Algorithmenethik. Außerdem: Könnten Sprachassistenten Herzstillstände diagnostizieren? Und woran mangelt es den KI-Rockstars? Bleiben Sie informiert in der bunten Welt der Algorithmen!
Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen. Wir freuen uns stets sehr über Vorschläge für Erlesenes von unseren Leser:innen. Wer einen spannenden Text gefunden hat, kann uns diesen gerne per E-Mail an lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de zukommen lassen.
?Smarte Sprachassistenten sollen lernen, Herzstillstand bei Schlafenden zu hören
(“Alexa, monitor my heart”: Researchers develop first contactless cardiac arrest AI system for smart speakers), 19. Juni 2019, UW News
Smarte Sprachassistenten, die mittlerweile auch in Deutschland in Millionen Haushalten stehen, können Leben retten. Dies wollen Forscher:innen der University of Washington beweisen: Sie haben eine Software für derartige Geräte entwickelt, die ihren Besitzer:innen beim Schlafen zuhören, Anzeichen für einen Herzstillstand erkennen und Hilfe rufen können soll, berichtet Sarah McQuate, Autorin bei UW News. Das Team trainierte einen Algorithmus mit Aufnahmen aus Notrufgesprächen, bei denen die für Herzstillstand typische Schnappatmung von Schlafenden zu hören war, sowie mit Aufnahmen von anderen Geräuschen, die Menschen von sich geben, während sie schlafen – letzteres, um Fälle von Fehlalarm möglichst zu minimieren. Der Algorithmus habe in 97 Prozent der anschließend präsentierten Fälle korrekt Schnappatmung identifiziert, sofern das aufnehmende Gerät nicht mehr als sechs Meter entfernt positioniert war. Das verantwortliche Forscher:innenteam plant nun, die Technologie zu kommerzialisieren.
?Was haben Fridays for Future und Algorithmen gemeinsam?
(Here are 10 ways AI could help fight climate change), 20. Juni 2019, MIT Technology Review
Kürzlich machte eine Studie auf den fragwürdigen ökologischen Fußabdruck von Künstlicher Intelligenz (KI) aufmerksam (Erlesenes #72). Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Denn KI kann, wenn klug eingesetzt, Prozesse klimafreundlicher werden lassen, schreibt Karen Hao, Reporterin bei MIT Technology Review, in ihrer Zusammenfassung eines kürzlich veröffentlichten Berichts führender Köpfe der KI-Forschung. In ihrem Text nennt sie einige konkrete, von den Wissenschaftler:innen identifizierte Einsatzbereiche. So könne KI etwa dafür verwendet werden, den Energieverbrauch genauer vorherzusagen, bei der Entdeckung neuer umweltfreundlicher Materialien zu helfen oder Logistikvorgänge und -routen zu optimieren. Ein weiteres Beispiel sei die Senkung der Einstiegsbarrieren für Elektroautos, indem Algorithmen das Batteriemanagement von Fahrzeugen verbessern oder prognostizieren, wann an welchen Ladestationen wie viel Kapazität benötigt wird. So könne maschinelles Lernen vielleicht bald helfen, eine unserer größten Herausforderungen anzugehen: den Klimawandel bekämpfen.
?Die Welt der KI-Rockstars auf der dringenden Suche nach Problemen
(Intelligence as an outcome not an input), 11. Juni 2019, Nesta Blog
Erschaffer:innen neuer Technologien neigen dazu, von ihren Werkzeuge ausgehend nach Einsatzbereichen zu suchen, anstatt sich zuerst zu fragen, was eigentlich erreicht werden soll. Das treffe auch auf die Disziplinen der Künstliche Intelligenz (KI) zu. Man beginne mit einer Lösung und suche erst dann das Problem. Das konstatiert Geoff Mulgan, Vorsitzender der britischen Innovationsstiftung Nesta. So hätten wir es mit dem das Paradox zu tun, dass wir zwar immer leistungsfähigere, intelligentere Technologie erschaffen, aber in Hinblick auf die wirklichen Probleme immer dümmere Systeme entwickeln. Drei zentrale Schlussfolgerung könnten gegen diesen Trend wirken so Mulgan: menschliche und „künstliche“ Intelligenz komplementär zu denken, die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu entwickeln und kontinuierliches Lernen zu praktizieren. Die Einführung neuer Technologien ohne die gleichzeitige Konzeption von Regeln, Normen und begleitenden Innovationen sei oft ineffektiv oder habe gar schädliche Folgen. Wenn vom gewünschten Resultat ausgegangen werde, ließe sich dies verhindern. Schon deshalb, weil es von den KI-Macher:innen neue Denkweisen erzwingt, glaubt Mulgan.
?Deepfakes: Harmlose Technologie oder Gefahr für Demokratie?
(“Politicians fear this like fire” – The rise of the deepfake and the threat to democracy), 22. Juni 2019, The Guardian
Seit einiger Zeit tauchen regelmäßig Meldungen zu sogenannten Deepfakes in den Schlagzeilen auf. Deepfakes sind mit Künstlicher Intelligenz (KI) manipulierte Videos oder Audiomitschnitte, die fälschlicherweise den Eindruck erwecken, eine (oft sehr bekannte) Person hätte etwas Bestimmtes gesagt oder getan. Der freie Journalist Simon Parkin befasst sich in diesem Beitrag mit der Frage, welche Auswirkungen diese sich rasant weiterentwickelnde Form der Manipulation von Medieninhalten durch KI auf die öffentliche Wahrnehmung der Realität und im weiteren Sinne auf die Demokratie haben könnte. Er sprach dazu mit verschiedenen Personen, die an der Schaffung oder Erkennung von Deepfakes mitwirken. Parkins Artikel verdeutlicht, dass die Meinungen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologie weit auseinandergehen. Manche sehen gar eine Bedrohung für die moderne Zivilisation. Andere rechnen damit, dass die Öffentlichkeit den konstruktiven Umgang mit Deepfakes lernen werde.
?Die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft von KI-Kunst
(The Past, Present, and Future of AI Art), 18. Juni 2019, The Gradient
Die Maschine scheint derzeit zum neuen Stern am Firmament der Kunstwelt aufzusteigen. Diese Entwicklung animiert viele Kunstkenner:innen dazu, sich über eine lange Liste an philosophischen Fragen zum Einsatz von Computern zur Kunstkreation den Kopf zu zerbrechen. Doch zahlreiche dieser Fragen wurden bereits ausführlich debattiert und beantwortet, argumentiert Fabian Offert, Doktorand im Bereich Künstliche Intelligenz. Denn mindestens seit den 1950er Jahren seien Computer am künstlerischen Prozess beteiligt. Die entscheidende Rolle von KI in der Kunst sieht Offert nicht in der ästhetischen Innovation, sondern in der “kritischen Innovation”. Mit KI generierte Kunst werde das Medium zur kritischen Begleitung der KI an sich. Es stünden aufregende Zeiten für Wissenschaft und Kunst gleichermaßen bevor. Die Gefahr einer künstlerischen Revolution, die den Menschen durch die Maschine ersetzt, sehe er aber nicht.
Das war‘s für diese Woche. Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de
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