Aufgepasst! Diese Woche bietet der Erlesenes-Newsletter wieder eine bunte Mischung an Themen: Wie formt Künstliche Intelligenz (KI) das menschliche Selbstbild? Wieso fördert digitale Mündigkeit Innovation? Können Algorithmen antike Sprachen übersetzen? Bleiben Sie mit unseren fünf Impulsen auf dem neusten Stand in Sachen Algorithmenethik!
Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen. Wir freuen uns stets sehr über Vorschläge für Erlesenes von unseren Leser:innen. Wer einen spannenden Text gefunden hat, kann uns diesen gerne per E-Mail an lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de zukommen lassen.
?KI, die lange verloren geglaubte Sprachen übersetzt
(Machine learningMachine Learning Ein Teilbereich der KI, bei dem Systeme aus Daten lernen und sich verbessern, ohne explizit programmiert zu werden. has been used to automatically translate long-lost languages), 1. Juli 2019, MIT Technology Review
Innerhalb nur weniger Jahre habe die Verfügbarkeit großer Datensätze sowie Technologien zum maschinellen Lernen das Forschungsfeld der Linguistik sowie Computerübersetzungen revolutioniert, erfahren Leser:innen dieses im Physics arXiv Blog veröffentlichten Beitrags. Das Grundprinzip: Wörter stehen in allen Sprachen in bestimmten Beziehungen zueinander. Die Analyse von Mustern in einer Sprache erlaube es, vergleichbare Muster in einer anderen Sprache zu finden. Forscher:innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und von Google haben gemäß dem Text gängige Verfahren so verbessert, dass erstmals ein Algorithmus automatisch die antike Linearschrift B übersetzen konnte. Ihr Ansatz berücksichtigt die Tatsache, dass Sprachen (und somit auch Wortbeziehungen) sich zwar stetig weiterentwickeln, aber generell stets in ganz speziellen Mustern: Jenen Mustern, die der Algorithmus zu verstehen in der Lage ist. Womöglich gestatte das Verfahren es bald, die Linearschrift A zu übersetzen, so die Forscher:innen. Dies sei bislang noch niemandem gelungen.
?Digitale Mündigkeit – Warum Finnland für Deutschland ein Vorbild ist
24. Juni 2019, Handelsblatt
Deutschland solle sich in Sachen digitaler Mündigkeit von Finnland inspirieren lassen, argumentiert Valerie Mocker, Direktorin bei der britischen Innovationsstiftung Nesta, in dieser Kolumne. Sie verweist auf den außerordentlich erfolgreichen, von Hochschulen, Politik und Wirtschaft gemeinsam getragenen Onlinekurs, um den Bürger:innen des nordischen Landes Grundkenntnisse in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) zu vermitteln (siehe Erlesenes #51). Die Finnen hätten verstanden, dass digitale Mündigkeit Ängste abbaut, Offenheit schafft und zu einer schnelleren Verbreitung neuer Innovationen führt. In Deutschland dagegen sei Digitalisierung zu häufig ein Elitenprojekt. Die hiesige KI-Strategie konzentriere sich auf hundert neue KI-Professuren anstatt auf die Befähigung vieler. Mocker zeigt sich jedoch zuversichtlich: “Wenn sich im kleinen Finnland 250 Firmen für einen KI-Pakt stark machen, werden sich unter Deutschlands 3,5 Millionen Unternehmen sicherlich mindestens genauso viele finden lassen.”
?Der unabhängigen KI-Forschung laufen die Talente weg
(Are Commercial Labs Stealing Academia’s AI Thunder?), 10. Juli 2019, Medium
Zwischen akademischer und privater Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) entsteht zunehmend ein Spannungsverhältnis zuungunsten der Universitäten. Tony Peng, Technologiejournalist bei Synced, erläutert die verschiedenen Faktoren, die junge, vielversprechende Talente und Professor:innen zunehmend in die Hände der führenden Technologiekonzernen treiben. Solche Faktoren seien bessere Löhne, die Möglichkeit zur Arbeit an konkreten Produkten sowie eine zum Teil bessere Ausstattung (etwa in Form höherer Rechenkapazität für das Trainieren von Algorithmen). Die Entwicklung sei nicht nur bedenklich, weil sie zu einem Mangel an brillanten Köpfen in den Unis und unabhängigen Instituten führe, sondern auch, weil von wirtschaftlichen Interessen getriebene KI-Forschung häufig nur bestehende Konzepte und Entdeckungen nutze, aber weniger Grundlagenforschung betreibe. Peng sieht jedoch einen Lichtblick in Form vermehrt erfolgender KI-Kooperationen zwischen akademischen Einrichtungen und der Privatwirtschaft (wobei das neue Herausforderungen mit sich bringt, siehe Erlesenes #72).
?Die normative Kraft der KI und der Einfluss auf das menschliche Selbstbild
12. Juli 2019, Inside-IT
In den Debatten zu den Folgen Künstlicher Intelligenz (KI) komme eine Frage oft zu kurz: Wie beeinflusst KI das Selbstbild des Menschen und ihr daraus resultierendes Verhalten? Diese Ansicht vertritt Birte Platow, Theologin und Forscherin der Digital Society Initiative der Universität Zürich. In ihrem Beitrag macht sie unter anderem auf die normative Kraft einer von KI geprägten Gesellschaft aufmerksam: Die meisten Normen erwachsen aus kollektiv geteilten Verhaltensweisen. Indem Menschen KI in spezifischer Art und Weise wahrnehmen, verhalten sie sich entsprechend und entwickeln bestimmte Vorstellungen über die eigenen Stärken und Schwächen. Das sich daraus ergebende kollektive Verhalten werde schleichend “normal” und so zur impliziten Norm, so Platow. Deshalb sei es wichtig, gegen die trügerischen Selbstwahrnehmungen im Verhältnis zur KI anzugehen. Erst recht, weil die Dynamik durch Rückkopplungseffekte, wenn KI auf das angepasste menschliche Verhalten reagiert, noch verstärkt werden könnte.
?Algorithmus entwickelt effektive Grippeimpfung
(AI invents more effective flu vaccine in world first, Adelaide researchers say), 2. Juli 2019, ABC
Forscher:innen der australischen Flinders University in Adelaide haben einen Algorithmus dazu verwendet, einen neuen, effektiven Impfstoff gegen derzeit kursierende Grippeviren zu entwickeln, berichten David Sparkes und Rhett Burnie, Reporter bei Australiens öffentlich-rechtlicher Rundfunkgesellschaft. Gemäß ihrem Bericht trainierten die Wissenschaftler:innen die Künstliche Intelligenz (KI) mit Daten zu früheren Impfstoffen, sowohl effektiven als auch solchen, die keinen gewünschten Effekt hatten. Daraufhin produzierte der Algorithmus einen eigenen Vorschlag, und dieser habe in ersten Tests positive Ergebnisse gezeigt. Letztlich handelt es sich um eine Technologie, die in der Lage ist, existierende Impfstoffe durch Modifikationen zu verbessern. Nun soll das Resultat in einer zwölfmonatigen klinischen Studie in den USA genau geprüft werden.
Das war‘s für diese Woche. Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de
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