In den letzten Monaten ist eine Vielzahl digitaler Tools und Initiativen entstanden, um den Herausforderungen um Covid-19 beizukommen. Doch worauf muss geachtet werden, wenn Software explizit für den Krisenfall entwickelt wird? Patricia Leu vom Prototype Fund, einem Förderprogramm für die Erprobung von Ideen und Entwicklung von Open-Source-Tools und Anwendungen, teilt Einsichten aus einem der bekanntesten Hackathons der vergangenen Monate und erklärt, weshalb es dafür eine starke digitale Zivilgesellschaft braucht.

Die digitalen Lösungen, die wir tagtäglich benutzen, werden immer ausgefeilter und vielfältiger – von Tools für die digitale Notizbuch-Pflege bis hin zum Fitnesstraining sind wir mit digitalen Helferlein versorgt. Die Corona-Pandemie hat dies noch verstärkt: Zuhause und in weitgehender Isolation bekamen z. B. Videokonferenz- und andere Kommunikationstools noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Gleichzeitig weckt die Krise Kreativität. Im Rahmen von verschiedenen Hackathons aber auch aus bestehenden Strukturen sind zahlreiche Projekte und Initiativen entstanden, die in der Krise helfen sollen.

Was vom WirVsVirus-Hackathon bleibt

Mehr als 1.500 Lösungsideen sind beispielsweise beim WirVsVirus-Hackathon entstanden, welchen der Prototype Fund gemeinsam mit sechs anderen Organisationen sowie der Bundesregierung im März 2020 organisiert hat (hier kann man genaueres dazu nachlesen). 34 von ihnen förderte der Prototype Fund mit Mitteln des BMBF über den Sommer hinweg, um aus Ideen einsatzfähige Prototypen werden zu lassen. Die Bandbreite der Lösungen ist dabei überraschend: Von der Unterstützung des lokalen Einzelhandels über 3D-Druck von Atemmasken bis hin zum Aufdecken von Fake News rund um Covid-19 ist eine Vielzahl an Bereichen abgedeckt. Besonders vielversprechend sind dabei Projekte, die auch über den aktuellen Pandemiefall hinaus Anwendung finden, weil sie gut in unseren Alltag integriert werden können.

Beispiele für diese Projekte sind: Die „Digitale Bühne“, die virtuelle Proben und Auftritte von Chören, Theater- oder Tanzgruppen ermöglicht. Ein solches Konzept ist auch über Zeiten des Social Distancing hinaus interessant, beispielsweise wenn Ensemblemitglieder an verschiedenen Orten wohnen. JOWOMO vernetzt schnell und unkompliziert Unternehmen für einen temporären Austausch von Personal. Entstanden aus dem während der Corona-Pandemie aktuellen Mangel an Arbeitskräften auf der einen und Kurzarbeit auf der anderen Seite, ist dieses Modell auch in anderen Situationen denkbar. “Cov2Words” stellt KI-gestützte Info-Hotlines bereit, bei denen Bürger:innen anrufen und ihre Fragen rund um die Corona-Pandemie stellen können. Solche Hotlines können zu allen möglichen Themen – von Gesetzesentwürfen bis zu Steuerfragen – eingerichtet werden.

Worauf muss man achten, wenn man Software entwickelt, die im Krisenfall helfen soll?

Ein anderes prominentes Beispiel für aus der Krise entstandene Softwareprodukte ist die offizielle Corona-Warn-App. Die Debatten zum Launch der App warfen dabei spannende Fragen nach dem Umgang mit dem Datenschutz auf. Wenngleich sich diese Fragen vor allem auch Entwickler:innen stellten, wurde die datenschutzkonformen digitalen Lösungen im Kontext der Corona-Warn-App verstärkt auch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs diskutiert. Und die Antworten darauf sind komplex. Zunächst einmal dürfen auch in Krisensituationen grundsätzliche Rechte nicht beschnitten werden – und wenn doch, muss das immer im angemessenen Verhältnis zur Situation stehen. Dies betrifft natürlich auch den Datenschutz, eines unserer wichtigsten Rechte im digitalen Bereich. Mit dem Einbeziehen der digitalen Zivilgesellschaft in die Entwicklung der Corona-Warn-App wurde der Datenschutz als grundlegendes Interesse der potenziellen Nutzer:innen für dieses Tool anerkannt und gewährleistet.

Wer entwickelt eigentlich digitale Tools oder wird an der Entwicklung beteiligt?

Allzu oft wird Software von professionellen Entwickler:innen in Unternehmen entwickelt. Das ist natürlich sinnvoll, denn hier sitzen Menschen, die ihr Handwerk gelernt haben und genau wissen, was sie tun. Doch es stellt sich die Frage, ob dies für wirklich hilfreiche und anwender:innenfreundliche Tools ausreicht. Sollten nicht im Sinne von “build with not for” auch die Menschen beteiligt werden, die die Software letztlich nutzen und sollten nicht sogar diese mit ihren Ideen und Bedürfnissen den Anstoß zur Entwicklung geben? Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass das Interesse der Nutzenden an erster Stelle steht – und nicht das des Marktes. Außerdem müssen Tools flexibel sein, denn die Zeiten – und besonders die Krisen – ändern sich. Morgen können Nutzer:innen andere Anforderungen an Software stellen oder sie in anderen Kontexten anwenden wollen als heute. In diesem Fall ist es ein großer Vorteil, wenn ein Tool einfach adaptiert und angepasst werden kann.

Wer nun beim Lesen gut aufgepasst hat, merkt: Diese Bedingungen sollten nicht nur im Krisenfall sondern immer gelten. Allerdings wird Software häufig im Elfenbeinturm entwickelt und Nutzer:inneninteressen wie Datenschutz werden nicht immer gewahrt. Um Software adaptieren zu können, muss man erst einmal wissen, wie sie gebaut ist.

Digitale Zivilgesellschaft muss gefördert werden

Dabei gibt es eine Art der Technologieentwicklung, die diese Anforderungen berücksichtigt: Public Interest Technologie. Hier entwickeln freie Entwickler:innen bottom-up digitale Lösungen im Sinne der Gesellschaft – und das alles Open Source. Nutzer:innen werden zu Expert:innen, die selbstbestimmt im virtuellen Raum unterwegs sind und gleichzeitig andere von ihren Kenntnissen und Erfahrungen profitieren lassen. Das alles leistet die digitale Zivilgesellschaft, von der man in der Krisenzeit einiges gehört hat, die aber schon seit Langem aktiv und engagiert codet und entwickelt. In unserer aktuellen Abhängigkeit von digitalen Hilfsmitteln fällt uns auf, wie groß ihr Verdienst an der Gesellschaft ist – dabei wird der Löwenanteil unbezahlt als digitales Ehrenamt geleistet. Wir setzen uns für eine Förderung der digitalen Zivilgesellschaft ein: Nicht nur muss ihre Arbeit Anerkennung und Wertschätzung erfahren, es braucht auch finanzielle Hilfe und Infrastruktur, z. B. in Form von Serverstrukturen.

Die digitale Zivilgesellschaft bringt Erfahrungen und Expertise gemeinwohlorientiert ein, um Bürger:innen sichere und selbstbestimmte digitale Teilhabe zu ermöglichen – und dies sollte nicht nur in Krisenzeiten ein Anliegen sein.


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