Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) prägen immer stärker unseren Alltag. Was die Bevölkerung Deutschlands über diese digitalen Technologien weiß und denkt, zeigen wir in einer neuen Bevölkerungsumfrage. Im Vergleich zu Erhebungen von 2018 und 2020 zeigt sich: Während die Bekanntheit und Akzeptanz von automatisierten Entscheidungen über die vergangenen Jahre zugenommen hat, können weite Teile der Bevölkerung die Implikationen der Einsätze kaum einschätzen.
Kita-Plätze werden mithilfe von Algorithmen vergeben, Gesichtserkennung wird bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum eingesetzt und Naturkatastrophen durch Frühwarnsysteme vorhergesagt: Algorithmen und Künstliche Intelligenz sind gekommen, um zu bleiben. Doch was wissen Menschen in Deutschland darüber und wie nehmen sie den Einfluss dieser digitalen Technologien auf ihr Leben und die Gesellschaft wahr?
Diesen Fragen sind wir in Repräsentativumfragen bereits in den Jahren 2018 und 2020 nachgegangen, die vom Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurden. Im nun erschienenen Update der Bevölkerungsumfrage des IfD lag der Fokus auf der Trendfortschreibung: Wir wollten herausfinden, wie sich das selbst zugesprochene Wissen der Befragten über Algorithmen und ihre Einstellungen zu deren Auswirkungen in den letzten vier Jahren entwickelt haben. Darüber hinaus wurde zum ersten Mal geprüft, inwieweit der Begriff „Künstliche Intelligenz“ andere Ergebnisse liefert als der Begriff „Algorithmus“.
Die Bevölkerung gibt an, mehr Wissen über die Funktionsweise und die Implikationen von Algorithmen zu haben
Die Bekanntheit des Begriffs „Algorithmus“ ist über die letzten vier Jahre von 72 auf 81 Prozent gestiegen: Immer mehr Menschen haben ihn schon einmal gehört. Darüber hinaus sprechen sich die Befragten auch mehr Wissen über Algorithmen zu. So geben mittlerweile 60 Prozent an, eine ungefähre oder sogar recht genaue Vorstellung von Algorithmen zu haben.
Kenntnis über die Begriffe „Algorithmus“ und „Künstliche Intelligenz“ ist ungleich verteilt
Während 81 Prozent der Befragten angaben, sie hätten das Wort „Algorithmus“ schon einmal gehört, waren es bei „Künstliche Intelligenz“ mit 88 Prozent noch einmal etwas mehr. Was im Detail bei den hier vorliegenden Zahlen auffällt: Vor allem in der älteren Generation ist der Begriff „Künstliche Intelligenz“ deutlich bekannter als der Begriff „Algorithmus“. Während 69 Prozent der über 60-jährigen Befragten sagten, ihnen sei das Stichwort „Algorithmus“ bekannt, waren es in derselben Altersgruppe beim Begriff „Künstliche Intelligenz“ 82 Prozent.
Größere Unterschiede zeigen sich auch bei der Analyse nach Bildungsabschluss. Die Kenntnis der beiden Begriffe steigt mit dem formalen Bildungsgrad: Beim Stichwort „Algorithmus“ ist die Differenz zwischen dem Kenntnisstand der Befragten mit niedrigem und höherem Bildungsabschluss deutlich größer als beim Begriff „Künstliche Intelligenz“. Während 75 Prozent der Befragten mit Volks- oder Hauptschulbildung angaben, den Begriff „Künstliche Intelligenz“ zu kennen, sagten nur 54 Prozent das Gleiche über den Begriff „Algorithmus“.
Diese „Bildungsschere“ ist seit 2018 größer geworden: Der Anteil der Befragten mit hohem Bildungsabschluss (Abitur/Studium), die kaum etwas oder gar nichts von dem Begriff „Algorithmus“ wissen, hat sich binnen vier Jahren fast halbiert (von 31 auf 17 Prozent). Bei denjenigen mit niedrigem Bildungsabschluss (Volks-/Hauptschule) lässt sich lediglich ein Rückgang um sieben Prozentpunkte auf 68 Prozent verzeichnen.
Teil(automatisierte) Entscheidungen werden zunehmend akzeptiert
Es wurde außerdem anhand ausgewählter Anwendungsfälle abgefragt, ob die Menschen wissen, wo Algorithmen und Künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Bei den Anwendungsfällen, die in beiden Jahren abgefragt wurden, hat sich das Wissen im Vergleich zu 2018 im Durchschnitt um gut zehn Prozentpunkte erhöht. Besonders bekannt sind dabei die personalisierte Auswahl und Anzeige von Werbung (69 Prozent), die Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum (67 Prozent) und die Rechtschreib- und Satzbaukontrolle bei Textverarbeitungsprogrammen (66 Prozent).
Eng verknüpft mit der Bekanntheit konkreter Anwendungsfälle von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz ist deren Akzeptanz: Eine automatisierte Entscheidung gilt tendenziell eher als akzeptabel, wenn den Befragten das Einsatzgebiet bekannter ist.
Weiterhin ist erkennbar, dass es in Bereichen, die vergleichsweise geringe soziale Auswirkungen haben, auch weniger Vorbehalte gegenüber (teil)automatisierten Entscheidungen gibt. Dennoch ist auch bei einzelnen Anwendungen mit großem sozialen Schadenspotenzial eine erstaunlich hohe Akzeptanz (teil)automatisierter Entscheidungen festzustellen. Dies trifft etwa auf die Bewertung von Kreditwürdigkeit, die Vorauswahl von Bewerber:innen bei der Personalbesetzung und – besonders augenfällig – die Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu, bei der sich die Akzeptanz der Automatisierung von 36 Prozent (2018) auf 51 Prozent (2022) erhöht hat.
Einfluss von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz auf das eigene Leben werden kaum wahrgenommen
Bemerkenswert ist, dass es der Bevölkerung noch immer schwerfällt, die Relevanz von Algorithmen für das eigene Leben und den Alltag zu erkennen. Gegenüber 2018 hat hier kaum eine Veränderung stattgefunden: Der Anteil der Befragten, die einen starken oder sehr starken Einfluss von Algorithmen auf ihr Leben und ihren Alltag wahrnehmen, ist lediglich von 27 auf 29 Prozent gestiegen, bei Künstlicher Intelligenz sind es aktuell sogar nur 14 Prozent.
Eine weitere Konstante gegenüber 2018 ist die verbreitete Unentschlossenheit hinsichtlich gesellschaftlicher und individueller Auswirkungen der digitalen Technologien – und ob diese positiv oder negativ zu bewerten sind. So haben immer noch mehr als 40 Prozent keine klare Meinung dazu, ob der zunehmende Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz für die Gesellschaft insgesamt mehr Chancen oder mehr Risiken mit sich bringt . Insgesamt scheinen die Menschen in Deutschland orientierungslos gegenüber Algorithmen und Künstlicher Intelligenz zu sein.
Ein breiter Kompetenzaufbau, eine differenzierte Berichterstattung und mehr gemeinwohlorientierte Algorithmeneinsätze sind nötig
Die Befragungsergebnisse zeigen deutlich, dass noch viel getan werden muss, damit die Orientierungslosigkeit und die Wissenskluft mit Blick auf Algorithmen und Künstliche Intelligenz abnehmen.
- Wissens- und Kompetenzaufbau zu Algorithmen und Künstlicher Intelligenz befördern, der die Gesellschaft in ihrer Breite erreicht.
Zwar hat das Unwissen über Algorithmen, über ihre Funktionsweisen und ihre Einsatzbereiche in den letzten vier Jahren etwas abgenommen, aber nicht für alle gleichermaßen: Es zeigt sich, dass sich insbesondere Befragte mit höherem Bildungsabschluss mehr Wissen über Algorithmen und Künstliche Intelligenz zusprechen. Da Algorithmen und Künstliche Intelligenz jedoch das Leben und die Teilhabechancen aller Menschen beeinflussen, muss auch das Wissen darüber, unabhängig von Faktoren wie Alter, Einkommen oder eben Bildungsabschluss, gestärkt werden.
- Eine differenzierte Berichterstattung mit Fokus auf die oft unbekannten Einsatzgebiete und „unsichtbaren“ Auswirkungen von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz stärken.
Der Mehrheit in Deutschland fällt es immer noch ausgesprochen schwer, die Auswirkungen der Technologien auf ihr Leben einzuschätzen. Zudem sind viele Anwendungsfelder von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz weiten Teilen der Bevölkerung immer noch unbekannt. Für eine informierte Einschätzung von Chancen und Risiken braucht es auch einen vielfältigeren medialen Diskurs, der neben den wirtschaftlichen auch die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte der Automatisierung ausleuchtet.
- Algorithmen und Künstliche Intelligenz zunehmend für Lösungsbeiträge zu gesellschaftlichen Herausforderungen und sozialen Problemen einsetzen.
Aktuell herrscht eine große Skepsis in der Bevölkerung, ob der Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz sowohl für Einzelne wie auch für die Gesellschaft insgesamt mehr Vor- als Nachteile bringt. Um dem zu begegnen, braucht es mehr und vor allem alltagsrelevante Anwendungsbeispiele, wie Algorithmen und Künstliche Intelligenz stärker für das Gemeinwohl eingesetzt werden können.
Die Rohdaten, die aufbereiteten Indikatoren für statistische Analysen sowie das Logfile mit den Outputs der Berechnungen sind unter folgendem Link abrufbar: www.bertelsmann-stiftung.de/umfrage-algorithmen2022/
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