Wenn über Künstliche Intelligenz (KI) und Nachhaltigkeit gesprochen wird, werden oft unhaltbare Versprechungen gemacht. Dabei kann KI in konkreten Fällen hilfreich sein. Am Beispiel des Green Consumption Assistant zeigt sich, wie Konsument:innen bei Kaufentscheidungen zugunsten nachhaltigerer Produkte unterstützt werden können.

Die Klimakrise ist das drängendste Problem unserer Zeit. Selbst in Deutschland merken wir es diesen Sommer an allen Ecken und Enden. Dabei gibt es schon vielfältige Lösungsvorschläge, die auf unterschiedliche Aspekte des Problems abstellen, wie die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung, ressourcenschonende Bauweisen oder Anreize für weniger Konsum. Auch der Einsatz von algorithmischen Systemen kann uns unter bestimmten Bedingungen unterstützen, klimaschädliches Verhalten zu begrenzen – sei es durch Energieoptimierung, durch das intelligente Monitoring von Umweltverschmutzungen oder mithilfe umweltbewusster Produktion und effizienter Verkehrsplanung.

Im Nachhaltigkeitsbereich gibt es viele Ansätze, die uns das Blaue vom Himmel versprechen und den Technologieeinsatz als einfache Lösung für ein komplexes Problem verkaufen. Konkrete und sinnvolle Beispiele zu finden, ist dagegen herausfordernd. In diesem Blogbeitrag wollen wir uns daher einen solchen konkreten Lösungsvorschlag genauer anschauen, den Green Consumption Assistant. Auf Basis einer Produktdatenbank (die sogenannte GreenDB) und Methoden des maschinellen Lernens zeigt er „grüne“ Produktalternativen und informiert über nachhaltigere Alternativen zum Neukauf.

Der nachhaltigste Konsum ist kein Konsum

Die Digitalisierung und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten des Onlineshoppings (verschärft durch die Pandemie) tragen dazu bei, dass sich der weltweite Konsum in rasendem Tempo erhöht. Entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Onlinehandel nicht per se klimaschädlicher als Einkaufen im stationären Handel, vielmehr haben die Herstellung der Produkte, die Nutzungsphase und das „Ablaufdatum“ eines Produktes den größten Emissionsverbrauch und die stärksten Umweltwirkungen.[1] Entscheidend ist, wie langlebig ein Produkt ist und wie umweltfreundlich es hergestellt wurde. Der Schlüssel zu nachhaltigem Konsum ist also, ein gebrauchtes Produkt zu kaufen oder gar bereits Vorhandenes länger zu benutzen oder Kaputtes zu reparieren.

An dieser SchnittstelleAPI (Application Programming Interface) Eine Schnittstelle, die es verschiedenen Softwareanwendungen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und Daten auszutauschen. APIs definieren, wie Anfragen und Antworten zwischen Programmen strukturiert sein sollten. setzt der Green Consumption Assistant an. Hinter dem Namen steht ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt zwischen der Technischen Universität Berlin, der Berliner Hochschule für Technik und der Suchmaschine Ecosia, in dem Expert:innen der Transformations-, Nachhaltigkeits- und Verhaltensforschung sowie dem Maschinellen Lernen, der Nutzer:innenzentrierung und der digitalen Produktentwicklung zusammenarbeiten. Es wird als eines der KI-Leuchtturmprojekte vom Bundesumweltministerium (BMUV) gefördert, mit denen das Ministerium im Rahmen der KI-Strategie der Bundesregierung Künstliche Intelligenz nutzen möchte, um ökologische Herausforderungen zu bewältigen und zu zeigen, dass eine „umwelt-, klima-, gesundheits- und naturgerechte Digitalisierung“ möglich ist.

Unterstützung bei nachhaltigeren Kaufentscheidungen

Das zentrale Ziel des Green Consumption Assistant ist es, Konsument:innen dabei zu unterstützen, nachhaltigere Kaufentscheidungen im Internet zu treffen. Mit steigendem Bewusstsein für Nachhaltigkeit suchen immer mehr Menschen durchaus nach grünen oder nachhaltigen Alternativen. Im Moment der Kaufentscheidung bleibt aber von diesem Anspruch oft nicht mehr viel übrig und man greift doch wieder zu der bequemen, schnellen Variante, die dann oftmals nicht dem ursprünglichen Wunsch nach nachhaltigem Konsum entspricht. Diese sogenannte Einstellungs-Verhaltens-Lücke oder auch Value-Action Gap möchte der Green Consumption Assistant adressieren, indem er zum einen den Zugang zu nachhaltigen Konsumalternativen verbessert und zum anderen die Sichtbarkeit dieser Alternativen erhöht.

Wie funktioniert das konkret? Auf der Shopping-Seite vom Projektpartner Ecosia werden „grüne“ Produktalternativen angezeigt, die den Suchinteressen der Nutzer:innen entsprechen und die im Vergleich zu herkömmlichen Produkten weniger ökologische oder soziale Kosten verursachen. Zudem informiert der Green Consumption Assistant über nachhaltigere Alternativen beispielsweise in Form von Hinweisen auf Repair-, Verleih- oder Sharing-Optionen, die den Kauf von Produkten gar nicht erst nötig machen.

Sucht man also z. B. nach einem neuen Handy, macht der Green Consumption Assistant Vorschläge zu Handys mit einer besseren Ökobilanz oder sogenannten refurbished, also generalüberholten Geräten[2] oder zeigt den nächstgelegen Handyreparaturladen. Ähnlich funktioniert es derzeit bei der Suche nach Kleidungstücken wie etwa Jeans.  In Zukunft sollen weitere Produktkategorien dazukommen.

Der Algorithmus erkennt, wofür sich die Nutzer:innen interessieren, und schlägt darauf basierend automatisch Produktalternativen vor, die gesondert und mit einem grünen Banner „nachhaltig“ angezeigt werden. Darüber hinaus werden gebrauchte Artikel mit dem Banner „B-Ware“ oder „gebraucht“ gekennzeichnet, z. B. bei einem generalüberholten Laptop. Diese vereinfachte Darstellung von Informationen, die einem sofort ins Auge springen (Nudging), soll Konsument:innen zum nachhaltigen Konsum „stupsen“.[3] Die Produktvorschläge des Algorithmus speisen sich aus einer Datenbank, aus der die Empfehlungen automatisch abgerufen werden.

Maschinell lesbare Datenbank mit automatisierter Bewertung

Diese Produktdatenbank (GreenDB), die als Basis für die Empfehlungen des Green Consumption Assistant dient, wird nicht händisch zusammengestellt, sondern mithilfe maschineller Lernverfahren. Dafür müssen die verschiedenen Konsumgüter bestimmte ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Das „intelligente“ Merkmal dieser Datenbank ist hierbei die automatische Integration verschiedener Datenquellen, die automatisierte Bewertung der Produkte in vorher definierten Nachhaltigkeitskategorien sowie die Erkennung von Nutzer:inneninteressen. Die Produktempfehlungen basieren auf Nachhaltigkeitslabels, die wiederum auf Grundlage von Siegelklarheit ausgewählt und bewertet wurden. Damit möchte das Projekt sicherstellen, dass die Labels eine hohe Glaubwürdigkeit haben und einem hohen Anspruch an soziale und ökologische Nachhaltigkeit erfüllen. Allerdings ist in diesem Bereich das Risiko des „Greenwashings“ hoch: Die Daten zu den Ökobilanzen werden automatisiert aus Berichten gezogen – diese Berichte werden von den Unternehmen und Herstellern selbst publiziert, d. h. die Glaubwürdigkeit ist immer nur so groß, wie die Transparenz und Aufrichtigkeit des jeweiligen Unternehmens. Gerade im technischen Bereich (z. B. Handys) werden bewusst Kategorien in der Bilanz ausgelassen und Labels langfristig vergeben, was es möglich macht, klimaschädliche Investitionen zu verstecken.

Methoden des maschinellen Lernens helfen im Falle der GreenDB dabei, die enorm großen, sich laufend wandelnden und heterogenen Datensätze aus den unterschiedlichen Produktkategorien auf Relevanz und Validität zu überprüfen und in eine maschinenlesbare Datenbank zu integrieren. Datengrundlage sind in diesem Fall Bewertungen von Nachhaltigkeitssiegeln durch Expert:innen, aus dem Internet gesammelte (gescrapte) Daten sowie öffentlich verfügbare Nachhaltigkeitsdaten (etwa das Siegel „Blauer Engel“ u. a.).

Damit die Informationen, die sich aus der Datenbank generieren, möglichst niedrigschwellig zur Verfügung stehen, wird die Datenbank mit einem Browser verknüpft. So stehen die Informationen an dem Ort zu Verfügung, an dem sich Verbraucher:innen aufhalten, weisen dort auf die Nachhaltigkeit des jeweiligen Produktes hin und führen – so die Hoffnung – zu einem Umdenken beim Onlinekonsum.

Dadurch dass die Datenbank open sourceOpen Source Ein Entwicklungsmodell, bei dem der Quellcode eines Programms öffentlich zugänglich ist. Jeder kann den Code einsehen, modifizieren und weiterverbreiten. Open Source kann die Transparenz von Forschungsfeldern wie der KI fördern. und open data ist, also dass sämtlicher Code und alle Daten offen zugänglich sind, kann das Prinzip des Green Consumption Assistant von anderen Suchmaschinen und Forschungsinstitutionen genutzt werden. Den Datensatz gibt es auf zendodo, das Open Source Repository (zur Bedeutung hier entlang) findet man auf Github. Das Projekt möchte damit einen ersten Beitrag für ein großes Ökosystem an qualitativ hochwertigen Nachhaltigkeitsdaten leisten und erhofft sich somit, den Grundstein für zahlreiche neue Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu legen.

Der Elefant im Raum: die Umweltwirkung von KI

KI-Systeme können durchaus helfen, die Folgen der Klimakrise zu bewältigen. Allerdings verursachen sie wiederum direkte und indirekte Treibhausgase und verbrauchen wertvolle Ressourcen: angefangen von den Rohstoffen, die für die Produktion von Chips und Platinen benötigt werden, über die Produktion der Hardware und deren Transport bis hin zum Energieverbrauch der Rechenzentren[4]. Ein sehr bekanntes Beispiel haben die Forschenden rund um Emma Strubell in ihrer Studie zur Umweltwirkung von Natural-Language-Modellen (Verarbeitung natürlicher Sprache) aufgegriffen und in Experimenten herausgefunden, dass das Training eines großen Sprachmodells so viel CO2 emittiert wie fünf Autos im Laufe ihrer Lebenszeit verbrauchen.[5]

Auf die Frage nach den Emissionen, die die Datenbank verursacht, verweist das Projekt des Green Consumption Assistant darauf, dass der Energieverbrauch für Datenakquise und Datenintegration gemessen wird. An der Berliner Hochschule für Technik werden darüber hinaus im Rahmen des Projekts auch Methoden entwickelt, um den Energieverbrauch des Green Consumption Assistant automatisch zu minimieren. Hier gilt es weiterhin aufzupassen, dass man nicht die eingesparten Emissionen durch eine emissionsstarke KI konterkariert.

Automatisierte Anwendungen wie die Datenbank des Green Consumption Assistant zeigen, dass Algorithmen und maschinelles LernenMachine Learning Ein Teilbereich der KI, bei dem Systeme aus Daten lernen und sich verbessern, ohne explizit programmiert zu werden. zwar nicht unseren Konsum magisch nachhaltig machen, sie aber durchaus einen Beitrag zu einem bewussteren Konsum leisten können. Dafür muss die zugrunde liegende Datenbank weiter ausgebaut, ihre Nachhaltigkeitskriterien konkretisiert werden und die Datenbank eine stärkere Verbreitung finden, etwa durch Schnittstellen zu großen Shoppingplattformen.

Fazit: Wider dem Technosolutionism

Algorithmen und KI können durchaus hilfreiche Werkzeuge sein und uns im Umgang mit Komplexität unterstützen, gleichzeitig sollten sie nicht nur für das technisch Mögliche, sondern für das gesellschaftlich Sinnvolle eingesetzt werden. Das gilt auch im Kontext der sogenannten nachhaltigen Künstlichen Intelligenz. Algorithmen und maschinelles Lernen sind – oft zu Recht – in Verruf geraten, ressourcenintensiv und umweltschädlich zu sein. Doch zeigt der Green Consumption Assistant, dass die Technologien auch genutzt werden können, um einen positiven Beitrag für Umwelt und Klima zu leisten (mit den genannten Einschränkungen).

Im Falle des Diskurses rund um KI für Nachhaltigkeit muss in Zukunft verstärkt der Fokus auf die Nachhaltigkeit der KI-Methoden selbst gelegt werden, also z. B. der Umweltwirkung ihres Trainings:[6] Etwa würde sich ein wiederholtes, ressourcenintensives Training neuer KI vermeiden lassen, wenn Datensätze und trainierte Modelle frei zur Verfügung stünden.

Wie bei fast allen Anwendungen, die sich „künstlich intelligent“ nennen, gilt es, genau hinzuschauen: Ob algorithmische Systeme, maschinelles Lernen oder Künstliche Intelligenz – all diese Begriffe dürfen auch in diesem Fall nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur einen Teil der Lösung sind, so wie der Green Consumption Assistant nur ein Zahnrad im großen Getriebe der Nachhaltigkeitsbemühungen sein kann. Denn: Für die effektive Eindämmung der Klimakrise werden wir viele weitreichende und multisektorale Maßnahmen benötigen.


[1] Umweltbundesamt (Hrsg.) (2020): Die Ökologisierung des Onlinehandels. Neue Herausforderungen für die umweltpolitische Förderung eines nachhaltigen Konsums (Teilbericht 1), Dessau-Roßlau: Die Ökologisierung des Onlinehandels: Neue Herausforderungen für die umweltpolitische Förderung eines nachhaltigen Konsums (umweltbundesamt.de).

[2] Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mahnt Betreiber:innen von Onlineplattformen für erneuerte Smartphones und Elektronikgeräte ab: Zweifelhafte Werbung für erneuerte Elektronikgeräte | Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv.de).

[3] Eine Studie des Projektes zeigt aber, dass andere Formen dieses Labelings von Onlinehändlern oft zum Greenwashing missbraucht werden, in dem nicht zertifizierte oder sehr schwache Nachhaltigkeitsinformation hinzugezogen wurden: Frontiers | Nudging Sustainable Consumption: A Large-Scale Data Analysis of Sustainability Labels for Fashion in German Online Retail | Sustainability (frontiersin.org).

[4] Das Forschungsprojekt „SustAIn – Nachhaltigkeitsindex für Künstliche Intelligenz“ beschäftigt sich mit der Diskussion rund um verantwortungsvolle KI und ergänzt sie mit der Dimension der Nachhaltigkeit. Das IÖW hat in diesem Rahmen Nachhaltigkeitskriterien für KI entwickelt: Nachhaltigkeitskriterien für künstliche Intelligenz (ioew.de).

[5] Emma Strubell, Ananya Ganesh und Andrew McCallum (2019): Energy and Policy Considerations for Deep Learning in NLP: 1906.02243.pdf (arxiv.org). In diesem Kontext auch interessant: Cathleen Berger (2021): The promise of AI: Can it hold for environmental sustainability? https://www.orfonline.org/expert-speak/promise-ai-can-it-hold-environmental-sustainability/.

[6] Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe hat dazu ein sehr lesenswertes Paper verfasst: Sustainable AI: AI for sustainability and the sustainability of AI (springer.com).


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