Vergangenen Mittwoch war Kenza Ait Si Abbou für eine Lesung ihres Buches Menschenversteher zu Gast im Berliner Haus der Bertelsmann Stiftung. Gemeinsam im Gespräch mit Ralph Müller-Eiselt wurde damit das neue literarische Gesprächsformat des Berliner Hauses fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Abends standen die Chancen, aber auch Herausforderungen, die mit den Weiterentwicklungen im Bereich der emotionalen künstlichen Intelligenz sowie in der Mensch-Technik-Interaktion auf die Gesellschaft zu kommen. 

Ein Date mit einem Roboter

Das Treffen mit Pepper verlief nicht so reibungslos, wie Kenza Ait Si Abbou es sich vorgestellt hatte: Der staunend dreinblickende Roboter wirkte während der gemeinsamen Fotoaufnahmen zuweilen unaufmerksam und sehr leicht ablenkbar. Dieses Zusammentreffen der anderen Art rekapituliert die Autorin im Vorwort des Buches Menschenversteher. Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert, in dem sie sich an den Fototermin für das spätere Buchcover mit Pepper, einem humanoiden Roboter, erinnert. Die Expertin für Robotics und Digitalisierung eröffnet den Abend im Berliner Haus der Bertelsmann Stiftung mit der Lesung dieses Vorwortes, das die Interaktion mit der Maschine humorvoll zusammenfasst und damit direkt zu den zentralen Fragen ihres Buches kommt: Was bedeuteten die Weiterentwicklungen im Bereich der emotionalen künstlichen Intelligenz für unser zukünftiges Miteinander? Wie werden sich die Mensch-Maschine-Interaktion und auch die zwischenmenschliche Interaktion in Zukunft entwickeln?

Risiko-Fokus in Deutschland

Ralph Müller-Eiselt, Kenza Ait Si Abbou, Jochen Arntz (v.l.n.r.)

Im Gespräch mit Ralph Müller Eiselt, Direktor des Programms Digitalisierung und Gemeinwohl der Bertelsmann Stiftung und Autor des Buches Wir und die intelligenten Maschinen, wurde die Diskussion dann etwas breiter und nahm die gesellschaftlichen Chancen und Risiken in den Blick, die Künstliche Intelligenz (KI) bietet. Kenza Ait Si Abbou berichtete von ihrem eigenen Werdegang: Aufgewachsen in Marokko entwickelte sie als Ingenieurin ein frühes Interesse an neuronalen Netzen und der Technologie dahinter, welches etwa durch die KI-gestützte Brustkrebserkennung in den frühen 2000er Jahren geweckt wurde. Gepaart mit ihrer Offenheit für Neues, prägte das ihre positive Sichtweise auf die Chancen, die durch die Nutzung der Technologie möglich werden. In Deutschland dagegen würden meist zuerst die Risiken in den Blick genommen und die Potenziale oftmals nachrangig betrachtet.

Künstliche Intelligenz im Dienste des Gemeinwohls

Der Moderator des Abends und Sprecher der Bertelsmann Stiftung, Jochen Arntz, nahm dies zum Anlass, den Bogen zur Arbeit der Stiftung zu schlagen, die sich dezidiert mit dem Thema KI für das Gemeinwohl beschäftigt. Ralph Müller-Eiselt berichtete von den Erfahrungen im Projekt Ethik der Algorithmen, das sich anfänglich – trotz eines positiven Gestaltungsanspruchs – tatsächlich überwiegend um die Eindämmung von Risiken der Technologie kümmerte. Spätestens mit dem Nachfolgerprojekt reframe[Tech] werden nun aber verstärkt die Chancen von Algorithmen und KI für das Gemeinwohl in den Blick genommen. Ein aktuelles Beispiel in diesem Kontext zielt etwa darauf ab, IT-Expert:innen und Wohlfahrtsorganisationen zusammenzubringen, um darüber nachzudenken, wo KI im für den Sozialstaat so wichtigen Bereich der Freien Wohlfahrtspflege konkret und missionsorientiert unterstützen kann. Auch die algorithmengestützte Kita-Platzvergabe birgt viele Gemeinwohlpotenziale, indem sie zu einer effizienteren, transparenteren und faireren Zuteilung beiträgt – vorausgesetzt der sogenannte soziotechnische Kontext stimmt. Das eigentliche Problem liege nämlich oft in der gesellschaftlichen Einbettung der Technologien, hier etwa in der Kommunikation mit Eltern oder Erzieher:innen, so Ralph Müller-Eiselt.

Bildung für Maschinenversteher                        

Ein weiteres Thema der Diskussion war die digitale Bildung. Die Corona-Pandemie habe zwar zu einer Art Sprung-Digitalisierung in den Schulen geführt, jedoch findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit KI dort kaum statt. Ralph Müller-Eiselt, ab November 2023 neuer Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, betonte darüber hinaus die Notwendigkeit einer lebenslangen Auseinandersetzung mit technologischen Innovationen, die auf die individuellen Bedürfnisse entlang der eigenen Biografie zugeschnitten ist. Denn der Auftrag, Menschen jeglichen Alters auf die Zukunft vorzubereiten, werde mit Blick auf Künstliche Intelligenz derzeit klar verfehlt. Er forderte – analog zur Bundeszentrale für politische Bildung und zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – den Aufbau einer Bundeszentrale für algorithmische Kompetenz. Kenza Ait Si Abbou brachte die bildungspolitische Herausforderung auf den Punkt: „Wir Menschen entscheiden, wie groß der Einfluss moderner Technik auf unser Leben ist. Doch damit die Zukunft mit den maschinellen Menschenverstehern gelingt, müssen wir selbst zu Maschinenverstehern werden.“

Neben den notwendigen Veränderungen im Bildungsbereich ging es auch um Umbrüche in der Arbeitswelt. Die Fortschritte generativer KI, besonders plakativ am Beispiel des Chatbots ChatGPT erfahrbar, zeigen, dass wir gerade an einem interessanten Punkt in der Menschheitsgeschichte stehen – darüber waren sich die Diskutant:innen einig. Die aktuellen Entwicklungen bedeuten nichts weniger als eine Kränkung der Menschheit, wie Kenza Ait Si Abbou verdeutlichte: Sprachsoftware kann nun kognitive Nicht-Routinetätigkeiten übernehmen, die bisher von Akademiker:innen und Büropersonal ausgeführt wurden und von Automatisierung nicht sonderlich bedroht schienen. Ait Si Abbou sieht diese Veränderung als ein Momentum für systemische gesellschaftliche Veränderungen. Müller-Eiselt pflichtete ihr bei und betonte, dass es neue Regeln für ein Miteinander von Mensch und Maschine brauchen werde. Bildung sei auch hier der Schlüssel: „Sogenannte ‚21st Century Skills‘, also etwa Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken werden in der Arbeitswelt des KI-Zeitalter immer wichtiger.“

Der Diskussionsabend mit Kenza Ait Si Abbou bot einen tiefen Einblick in die Welt der Mensch-Maschine-Interaktion und regte zum Nachdenken über die Chancen und Herausforderungen in diesem Bereich an. Eines wurde deutlich: Es liegt an uns, Risiken zu kontrollieren sowie Chancen zu nutzen und für eine gelungene Mensch-Technik-Interaktion zu sorgen.

Impressionen des Abends in der Galerie: 

 


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