1.500 Menschen sind am 21. und 22. Oktober in Frankfurt zusammengekommen, um über den Stand der Digitalisierung in Deutschland zu sprechen. In sechs Räumen auf vier Etagen haben viele Sessions und unzählige Gespräche stattgefunden. Angesichts dieses vielfältigen Programms war es unmöglich, den kompletten Überblick zu behalten, deswegen berichten wir von fünf Themenfelder, die uns besonders aufgefallen sind:

Digitale Souveränität: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

„Souverän“ war einer der drei Leitbegriffe für den Digitalgipfel 2024. Wie mehr Souveränität erreicht werden kann, wurde an den beiden Tagen intensiv diskutiert. Eine erste wichtige Erkenntnis war dabei, dass das Streben nach Unabhängigkeit relativiert werden sollte, da in einer vernetzen Welt wirkliche Unabhängigkeit weder realistisch noch erstrebenswert ist. Entscheidend ist es aber, Abhängigkeiten strategisch zu verstehen und mehr Klarheit darüber zu gewinnen, wo wir wie abhängig sind.

Beim zivilgesellschaftlich ausgerichteten Panel zu digitaler Infrastruktur wurde eingefordert, dass es für mehr Souveränität eine klare Vision, eindeutige Missionen und gut ausgestatte Instrumente braucht. Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin und Digitalexpertin Francesca Bria machte deutlich, dass eine gemeinsame europäische Vision für das digitale Zeitalter noch fehle. Der von ihr vorgeschlagene Ansatz von „Big Democracy“ als Alternative zum profit-orientierten Ansatz in den USA und dem staatsfokussierten Ansatz in China erfordere, dass staatliches Handeln stärker mit demokratischen Werten verbunden werden müsse. Dafür müssten alle Ebenen der technologischen Infrastruktur in den Blick genommen werden: Chips, Protokolle und Standards, Software, Cloud-Infrastruktur und die Ebene der Daten und Anwendungen. Statt sich im Kleinklein der Verwaltungsdigitalisierung zu verlieren, müsse Deutschland eine strategische Führungsrolle für einen europäischen Transformationsplan einnehmen, forderte Bria.

It’s the Marktkonzentration, stupid!

Beim Blick auf die verschiedenen Ebenen digitaler Infrastruktur wurde schnell deutlich, dass Europa trotz vieler Bemühungen stark von globalen Tech-Giganten abhängig ist. Dies betonte Marietje Schaake vom Stanford Cyber Policy Center und Autorin vom kürzlich erschienen Buch „The Tech Coup“ im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und warnte, dass die digitale Landschaft immer noch weitgehend von kommerziellen Interessen und nicht vom Gemeinwohl beeinflusst wird.

Diese Warnung und die Sorge um Monopolisierungstendenzen im Technologie- und zunehmend insbesondere KI-Sektor reihen sich in eine Vielzahl von Veröffentlichungen und Manifesten der letzten Wochen ein. Das Open Markets Institute und Mozilla zeigen in der Veröffentlichung „Stopping Big Tech from Becoming Big AI“ auf, wie Instrumente von Wettbewerbshüter:innen genutzt werden können, um die erhebliche Machtkonzentration einiger weniger Akteure zu reduzieren. Das AI Now Institut nimmt insbesondere das Mittel der Industriepolitik in ihrem Bericht „Redirecting Europe’s AI Industrial Policy“ in den Blick und fordert einen strategischeren Umgang mit öffentlichen Investitionen. Im Manifest „Beyond Big Tech: A manifesto for a new digital economy“ rufen 70 Organisationen dazu auf, die Kontrolle über Daten und Technologien stärker zu dezentralisieren.

Zwischen „muss“ und „soll“: Der Stand von Open SourceOpen Source Ein Entwicklungsmodell, bei dem der Quellcode eines Programms öffentlich zugänglich ist. Jeder kann den Code einsehen, modifizieren und weiterverbreiten. Open Source kann die Transparenz von Forschungsfeldern wie der KI fördern. in Deutschland

Open Source wurde bei Zukunftserzählungen in Bezug auf mehr Souveränität als wichtiger Baustein beschrieben, aber die Realität zeichnet in Deutschland noch das Bild eines Nischendaseins. Während die Regierung Hoffnung darin legt, dass im Onlinezugangsgesetz 2.0 verkündet wurde, dass Open Source in der öffentlichen Verwaltung prioritär angeschafft werden soll, bezweifeln Kritiker:innen, dass ein „soll“ für eine strategische Weichenstellung ausreicht. Eine Kleine Anfrage im Bundestag zeigt, dass der Bund seit Beginn der Legislaturperiode Milliarden Euro für proprietäre Produkte – oft von großen Techunternehmen – ausgegeben hat, im Vergleich zu nur etwa 0,5 Prozent seiner Ausgaben für Open Source Software.

Stefan Heumann von der Agora Digitale Transformation hat zusätzlich darauf hingewiesen, dass Open-Source-Projekte oft kurzfristige Förderprojekte sind, während bestehende Produkte großer amerikanischer Techunternehmen oft als Rahmenverträge mit mehrjährigen Laufzeiten eingekauft werden.

Auch wenn es Initiativen und Instrumente wie den Sovereign Tech Fund, openDesk und ZenDiS gibt, braucht es für einen wirklichen strategischen Wandel in Richtung Offenheit sowohl mehr Ressourcen für erfolgreiche Instrumente als auch eine höhere Geschwindigkeit bei der strategischen Weichenstellung.

Partizipativ vs. verordnet: Wo lang geht’s Richtung Zukunft?

Paukenschlag zum Auftakt des Digitalgipfels: Bundesminister für Digitales und Verkehr Volker Wissing sagte, es sei Zeit, auf Digital Only umzuschalten und Parallellösungen zu vermeiden. Das führte zu Aufregung bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den als „Digitalzwang“ benannten Strategiewechsel als wenig Erfolg versprechend einschätzten.

Denn zum einen sei es entscheidend, dass digitale Leistungen nutzerfreundlicher und leichter zu bedienen werden: Demgegenüber aber seien aktuell noch zu viele staatliche Leistungen schlecht oder gar nicht digitalisiert. Sollte in Anbetracht dessen zusätzlich der analoge Zugang abschafft werden, würde der Frust über fehlende Leistungsfähigkeit des Staates nur noch weiter steigen.

Zum anderen fehlten an vieler Stelle noch digitale Kompetenzen in der Breite der Bevölkerung. Es reiche deshalb nicht aus, lediglich an die Eigenverantwortung der Bevölkerung zu appellieren, vielmehr müssten in der Breite systematisch Kompetenzen aufgebaut werden. Dies sei für die Bekämpfung des Fachkräftemangels genauso entscheidend wie für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Wahlkampfstimmung zum Thema Regulierung

Beim letzten Digitalgipfel wurde noch heiß darüber diskutiert, ob und wie im AI Act reguliert werden sollte – die Verhandlungen waren damals in den letzten Zügen. Eigentlich könnte man erwarten, dass sich nun alle Beteiligten um eine möglichst nutzerorientierte Umsetzung bemühen. Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien zogen es aber vor, über die grundsätzliche Haltung zu Regulierung zu diskutieren – wann „Maß und Mitte“ gehalten wird. Da lag Wahlkampf in der Luft und die Notwendigkeit, dass alle Kompetenzen und Kapazitäten aktuell dafür genutzt werden sollten, um möglichst schnell Eindeutigkeit bei der Umsetzung des AI Acts zu erlangen, trat in den Hintergrund.

Wir halten es da mit einer Aussage von Matthias Spielkamp von AlgorithmWatch: „Es gibt nicht zu viel oder zu wenig Regulierung, sondern nur gute oder schlechte.“ Der Digitalgipfel hat deutlich gemacht, dass es noch viel zu tun gibt – sowohl bei der guten Ausgestaltung von Regulierung als auch bei strategischen Entscheidungen von Investitionen in eine souveräne digitale Zukunft, bei der Offenheit im Mittelpunkt steht.


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