Zehn Monate nach der „Tech-Exploration in der Wohlfahrt“ gibt Simon Domberg vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. ein Update zu den Erfahrungen und Herausforderungen, die der Verband in der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (KI) in der Selbsthilfe gemacht haben.
„GruFi“, kurz für „Selbsthilfegruppenfinder“, ist eine KI-Anwendungsidee, die ein besseres Matching zwischen Angebot und Bedarf in der Selbsthilfe ermöglichen soll. Das war das Ergebnis der sogenannten „Tech-Exploration“ in den Selbsthilfekontaktstellen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V. Im Sommer 2023 hat die Bertelsmann Stiftung die Tech-Exploration in vier Wohlfahrtsorganisationen durchgeführt, um konkrete Anwendungsideen für den gemeinwohlorientierten Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI) zu entwickeln.
Wir haben nun das Team des Paritätischen Niedersachsen kontaktiert, um mehr darüber zu erfahren, welche Erkenntnisse es durch die Tech-Exploration gewonnen hat und ob es ein Update zur explorierten Anwendungsidee des „GruFi – Selbsthilfegruppenfinders“ gibt.
1. Was nehmt Ihr mit aus sechs Wochen Tech-Exploration?
Simon Domberg: Die Tech-Exploration war eine tolle Gelegenheit, aus den gewohnten Silos einmal auszubrechen und neue Wege im Bereich digitaler Innovationen zu gehen. Dabei so intensiv das Thema KI in den Blick nehmen zu können, war für uns eine großartige Chance, da das Thema für uns und unsere 870 Mitgliedsorganisationen in Niedersachsen immer mehr an Bedeutung gewinnt und die weitere Digitalisierung unserer Branche sehr stark beeinflusst. Darüber hinaus waren und sind wir immer noch beeindruckt vom großen Engagement aller Beteiligten, gemeinsam mit kreativen Methoden neue Lösungen für verschiedene gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu entwickeln. Wir haben uns außerdem sehr gefreut, mit Ramona Gläser und Karsten Klages zwei sehr engagierten Explorierende an die Hand bekommen zu haben, die unseren Blick auf die Digitalisierungspotenziale beim Paritätischen Niedersachsen noch einmal sehr bereichert haben.
2. Was war/ist die größte Herausforderung?
Simon Domberg: Die größte Herausforderung ist es nach wie vor, die Ziele der Freien Wohlfahrtspflege im Bereich der Digitalisierung mit Finanzierungsmöglichkeiten in der bestehenden Logik der Refinanzierung des Sozialen zu matchen. Auch die Tech-Exploration hat erneut aufgezeigt, dass es weder an Ideen und Konzepten für Innovationen noch an Kompetenzen und Agilität mangelt: Problematisch ist schlichtweg die Refinanzierung von Innovationen im derzeitigen System der Sozialen Arbeit. Für die Zukunftsfähigkeit sozialer Angebote von Kinderbetreuung bis hin zur Pflege alter Menschen sind KI, Digitalisierung und algorithmische Entscheidungssysteme sowohl auf Produktebene als auch beim Management der Organisationen unerlässlich. Für viele dieser Arbeitsfelder gilt jedoch, dass die Finanzierung dieser zukunftsweisenden Digitalisierungsansätze häufig immer noch durch Eigenmittel finanziert werden muss, was die einzelnen Einrichtungen vor enorme Herausforderungen stellt. Der Spielraum zur Gestaltung unserer zunehmend digitalisierten Gesellschaft im Bereich der Sozialen Arbeit ist dadurch enorm eingeschränkt. Hinzu kommen Problematiken in der Förderlandschaft, die die Digitalisierung gemeinnütziger Organisationen gegenüber der freien Wirtschaft benachteiligt: So stehen viele Förderprogramme gemeinnützigen Organisationen gar nicht erst zur Verfügung.
3. Wie geht es weiter?
Simon Domberg: Auch wenn die Finanzierung von einzelnen Digitalprojekten nach wie vor eine Herausforderung darstellt, haben wir mit der Tech-Exploration schon viele Learnings und neue Erkenntnisse im Bereich KI gewonnen, die wir für uns weiterverwenden können. Die Umsetzung der Anwendungsidee des „GruFi“ steht aktuell noch aus. Aber wir entwickeln derzeit im Rahmen unseres hauseigenen Strategieprozesses „Strategie 2030“ für den Paritätischen Niedersachsen auch eine Digitalstrategie, in die die neuen Erkenntnisse mit einfließen werden und auch direkt implementiert werden sollen. So möchten wir sowohl für unsere Mitglieder als auch unsere Mitarbeiter:innen die Digitalisierung auch als Teil unserer zukünftigen Identität verankern, um dadurch auch langfristig die Resilienz unserer digitalisierten Gesellschaft zu stärken.
Publikation „Vom Problem zur Anwendungsidee“
Die Tech-Exploration war ein Projekt der Bertelsmann Stiftung und wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert.
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