Die Mehrheit der in Deutschland für die Meinungsbildung besonders relevanten Intermediäre nutzt algorithmische Entscheidungsfindung zur personalisierten Auswahl und Strukturierung. Facebook personalisiert den News Feed seit September 2006, Google die Suchergebnisse auch für ausgeloggte Nutzer weltweit seit 2009, Twitter seit Anfang 2015, wenn die Nutzer dem nicht explizit widersprechen.
Die Gestaltungsprinzipien dieser Intermediäre führen zu einem Strukturwandel der Öffentlichkeit. Hier sechs zentrale Aspekte dieser Entwicklung im Überblick:
Öffentlichkeit vermittelt durch digitale Intermediäre entsteht als Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung unterschiedlicher Faktoren. Auf der individuellen Ebene spielen bestimmte Nutzungsweisen eine Rolle, die wiederum durch die Gestaltung der jeweiligen Angebote begünstigt werden. So werden Medieninhalte etwa häufig nur auf Basis ihrer Überschriften und Anreißertexte weitergereicht, ohne dass der Weiterreichende sie tatsächlich vollständig rezipiert hat. Zudem werden stark emotionalisierende Inhalte besonders häufig geteilt und intensiv diskutiert.
Diese Signale gehen in die algorithmische Sortierung von Inhalten ein und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit, dass besonders emotionalisierende Inhalte ein noch breiteres Publikum erreichen. Aus der Psychologie bekannte kognitive Verzerrungen wie die Verfügbarkeitsheuristik treten vermutlich in Wechselwirkung mit solchen Mechanismen: Im Zweifel wird das Weltbild einzelner Nutzer maßgeblich von Inhalten bestimmt, die weder sie selbst noch derjenige, dessen Weiterleitungsaktion ihnen diese Inhalte verfügbar gemacht hat, tatsächlich vollständig rezipiert haben. Solche Verzerrungen und ohne großen kognitiven Aufwand durchgeführten Aktionen werden begünstigt von den Gestaltungszielen und -prinzipien der Intermediäre: Als Leitwert gilt eine möglichst ausgeprägte Einfachheit für alle angestrebten Aktivitäten. Hindernisse, die zu kognitiver Verlangsamung führen könnten, werden identifiziert und nach Möglichkeit beseitigt.
Externe Akteure schalten sich mit automatisierten Manipulationsmechanismen, zum Beispiel Bots, in diese Prozesse ein und sorgen aus kommerzieller oder propagandistischer Motivation heraus dafür, dass bestimmte Inhalte und Konzepte durch ADM-Prozesse mehr Aufmerksamkeit bekommen, als das ohne sie der Fall wäre. Schließlich führt das Zusammenspiel individueller Nutzerentscheidungen, algorithmischer Sortiersysteme und psychologischer Faktoren zumindest bei Teilen der Nutzerschaft zu einer verstärkten Polarisierung sowohl im Hinblick auf wahrgenommene Inhalte als auch im Hinblick auf gesellschaftliche und politische Einstellungen. ADM-Prozesse sind in diesem komplexen Gefüge nur ein Faktor, aber einer, der in Wechselwirkung mit allen übrigen Faktoren steht und somit als Verstärker sowohl menschlich-kognitiver Unzulänglichkeiten als auch gezielter technischer Manipulationen gelten kann.
Veröffentlicht unter CC BY-SA 3.0 DE (Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen). Ein Auszug aus: “Digitale Öffentlichkeit – Wie algorithmische Prozesse den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen”, 1. Auflage 2017 , 90 Seiten (PDF), DOI 10.11586/2017028
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