Mit der Hoffnung, bessere Mitarbeiter:innen und den passenden Arbeitsplatz zu finden, nutzen Personalverantwortliche wie Bewerber:innen vermehrt algorithmische Systeme. Welche Chancen und Herausforderungen bringt es mit sich, wenn Software die Arbeitsplatzsuche organisiert?

Die Suche nach dem passenden Job in einem immer größer und diverser werdenden Stellenpool verändert sich. Gleichzeitig sind auch Unternehmen immer neuen Herausforderungen ausgesetzt. Der Bewerbungsprozess läuft immer digitalisierter ab. Aus einer Vielzahl an Bewerbungen die passende auszusuchen ist schwierig und zeitaufwendig. Dabei verlassen sich Personaler:innen mal bewusst, mal unterbewusst auch auf ihr „Gespür“ – ein wenig objektives Kriterium, welches zu Entscheidungen führen kann, die Bewerber:innen nicht nachvollziehen können. Eine weitere Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Er hat das Potenzial, die Wirtschaft zu schädigen, was Unternehmen unter zusätzlichen Druck setzt, qualifizierte Kräfte für ihre Stellen zu finden.

Sowohl Arbeitsplatz- als auch Mitarbeitersuche sehen sich diesen Herausforderungen gegenüber. Eine Antwort auf darauf könnten Algorithmen liefern.

„Robo Recruiting“ ist bereits heute Realität

„Robo Recruiting“ bezeichnet den Einsatz algorithmischer Anwendungen in der Personalgewinnung. Um den Stand der Dinge vorzustellen und Chancen wie Gefahren dieser algorithmischen Analyse- und Entscheidungssysteme zu diskutieren, kamen am 5. Juli 2018 Entwickler:innen, Personalmanager:innen, Wissenschaftler:innen, Vertreter:innen von Arbeitgebern und des öffentlichen Sektors sowie Akteure der Zivilgesellschaft zu einem intersektoralen Workshop zusammen. Der Workshop fand im Rahmen des Kooperationsprojekts „Algorithmen fürs Gemeinwohl“ der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Neue Verantwortung statt. Ziel des Projektes ist es, gemeinwohlorientierte Gestaltungsprinzipien für algorithmische Entscheidungssysteme zu entwickeln. Gegenstand dieses zweiten thematischen Workshops war der Einsatz von Algorithmen in der Personalgewinnung.

Eines der algorithmischen Tools, das im Workshop vorgestellt wurde, ist die Plattform LogOn. Auf der Plattform können Arbeitsuchende ihre Curricula Vitae (CVs) oder unstrukturierte Lebenslaufdaten hochladen, um personalisierte Stellenangebote zu erhalten. LogOn analysiert dafür die hochgeladenen Daten auf bestimmte Erfahrungen und Fähigkeiten und erstellt auf dieser Basis ein visualisiertes Feedback zum Lebenslauf. Die Ergebnisse dieser algorithmischen Betrachtung werden dann mit von Arbeitgebern hochgeladenen Stellenbeschreibungen abgeglichen, die in ähnlicher Weise analysiert wurden. So erhalten Arbeitsuchende personalisierte Empfehlungen über offene Stellen. Tools wie dieses können Jobsuchende befähigen, ihren Lebenslauf zu optimieren, interessante Stellenangebote zu finden und so auch ihre berufliche Karriere stärker ihren Wünschen entsprechend zu gestalten.

Beispiel einer Lebenslaufanalyse durch LogOn (Quelle: LogOn)

Doch nicht nur für Arbeitsuchende, auch für Arbeitgeber können Algorithmen eine große Hilfe sein. Ein im fachlichen Diskurs oft genanntes Beispiel ist die automatische Sortierung von Bewerbungen. In ca. 50 Prozent der Fälle dauert die Besetzung einer offenen Stelle über acht Wochen. Sogenannte Applicant Tracking Systems (ATS) könnten diesen Prozess beschleunigen. Ein Algorithmus durchsucht dabei Bewerbungen nach Stichwörtern und sortiert diese für die Personalabteilung vor bzw. sortiert unpassende Bewerbungen direkt aus. Personaler:innen können sich so im weiteren Prozess auf diejenigen Kandidat:innen konzentrieren, die die größte Chance auf den Job haben. Derzeit nutzen rund 6 Prozent der Top-Tausend-Unternehmen eine solche Software, weitere 13 Prozent planen dies für die Zukunft.

Allerdings kann so ein System auch zu absurden Ergebnissen führen: So könnte ein Bewerbungsschreiben aussortiert werden, weil es „project managed“ anstatt „project manager“ enthält. Hier zeigen sich die Grenzen von Algorithmen auf: Sie folgen festen (Such-)Mustern und ordnen bereits geringe Abweichungen davon auch mal falsch ein. Im Internet sind daher immer mehr Ratgeber dazu zu finden, wie diese Muster aussehen und wie man sich auf die Suchalgorithmen einstellen kann. Oder aber man rüstet auch als Arbeitsuchender auf und lässt seine Bewerbungen selbst durch einen Roboter verschicken. Im Extremfall könnte das zu einem „Algorithmischen Wettrüsten“ zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitgebern führen, bei welchem nur diejenigen die beste Stelle oder Mitarbeiter:in finden, die über das neueste Tool verfügen.

Chancen:  Den Bewerbungsprozess effizienter, personalisierter, passender, fairer machen

Die beiden Beispiele zeigen aber zunächst: Es gibt durchaus Chancen des Einsatzes von Algorithmen im Personalbereich: Durch Algorithmen kann der Bewerbungsprozess effizienter, personalisierter, passender und für die gesamtwirtschaftliche Situation förderlicher ablaufen. Idealerweise kann ein Algorithmus sogar die potenzielle Voreingenommenheit eines menschlichen Personalers ausgleichen: So müssen laut einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration Kfz-Mechatroniker mit einem türkischen Namen etwa 1,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie ein Kandidat mit einem deutschen Namen. Ein Algorithmus, der Bewerber hingegen nur anhand deren Qualifikation auswählt, kann solche vorurteilsbehafteten Muster überwinden. Damit besteht durch Algorithmen die Chance auf einen fairen und datengestützten anstatt einem intuitionsgestützten Bewerbungsprozess.

Außerdem kann sich die Bewertungsgrundlage im Recruiting grundsätzlich ändern. Robo Recruiting Software erstellt, z. B. auf Basis eines Lebenslaufs oder eines aufgenommenen Bewerbungsgesprächs wie im Fall von Precire, Kompetenz- und Persönlichkeitsprofile. Damit werden Kandidat:innen nicht mehr auf Basis der Erfahrungen ausgewählt, die in ihrem Lebenslauf stehen, sondern auf Basis der Kompetenzen, die sich aus diesen Erfahrungen oder absolvierter Bewerbungstests ableiten lassen.

Risiken: Menschliche Vorurteile verstärken und versteckte Diskriminierung befördern

Als eine der zentralen Herausforderungen des Robo Recruiting gilt die mögliche Diskriminierung durch Algorithmen. Diskriminierende Muster können sich beispielsweise in den Daten, die für das Training der Systeme genutzt werden, oder in den durch Menschen eingespeisten Auswahlkriterien widerspiegeln und so durch Algorithmen reproduziert und verstärkt werden.

„Gut gemeint“ führt so eben nicht automatisch zu „gut gemacht“: Man stelle sich vor, ein Unternehmen möchte bewusst mehr Frauen in seiner Führungsetage einstellen. Es setzt für die Suche nach Leitungspersonal daher einen auf den ersten Blick „neutralen“ Algorithmus ein, der erfolgreiche Führungskräfte im Unternehmen daran erkennt, dass diese bereits über Führungserfahrung verfügen. Weil aber Frauen aktuell in deutlich weniger Führungspositionen sind als Männer, gibt es auch weniger Frauen mit Führungserfahrung. Der Algorithmus wird bei seiner Auswahl also systematisch Männer bevorzugen. Damit ist zwar der Algorithmus selbst nicht sexistisch, das Ergebnis seiner Auswahl aber diskriminierend, weil er die Muster der Vergangenheit reproduziert und gegebenenfalls gar verstärkt.

Nicht immer ist Diskriminierung so offensichtlich wie in dem eben dargestellten Fall. So könnte ein Algorithmus einen bestehenden Mitarbeiterpool analysieren um herauszufinden, welche Eigenschaften besonders produktive Mitarbeiter:innen teilen. Und er könnte feststellen, dass diejenigen Mitarbeiter:innen, die weit weg vom Arbeitsplatz leben, effizienter arbeiten. Der Algorithmus wird bei der Bewerberauswahl dann konsequent diejenigen bevorzugen, die weiter weg leben. Dabei könnte der eigentliche Grund für die erhöhte Produktivität ein ganz anderer sein als der Wohnort, wie z. B. mehr Bewegung durch eine längere Anreise mit dem Fahrrad. Der Algorithmus erkennt diese Gründe aber nicht. Er gibt Korrelationen wieder, die der Arbeitgeber als Kausalitäten fehlinterpretiert und so diskriminiert. Solche versteckten Formen der Diskriminierung können in unterschiedlichsten Formen auftreten und sind präventiv nur schwer zu verhindern.

Lösungsansätze: Transparenz über den Einsatz, besseres Verständnis für die Funktionsweise und unabhängige Überprüfung der Systeme

Um sicherzustellen, dass der Einsatz von Algorithmen dem Gemeinwohl dient, wurden im Workshop abschließend unterschiedliche Lösungsansätze und Empfehlungen diskutiert. Zentral war dabei der Begriff der Transparenz: Bewerber:innen sollten darüber informiert werden, wenn algorithmische Systeme über sie entscheiden. Nur dann könnten sie sich beim Verdacht einer Diskriminierung auch zur Wehr setzen. Wichtig ist auch ein besseres Verständnis von allen Beteiligten für die Funktionsweise der Systeme sowie ein verstärkter Austausch zwischen Entwickler:innen und Anwender:innen von Algorithmen.

Ist der Einsatz eines Algorithmus einmal transparent, könnte dieser auch von unabhängigen Institutionen geprüft werden. So gibt es Forderungen nach einem Gütesiegel wie dem viel diskutierten Algorithmen-TÜV. Andere sehen darin aber nur eine Plakette, die falsches Vertrauen schafft. Sie sprechen sich für einen immerwährenden Prozess der Überprüfung des Einsatzes von Algorithmen aus nach festen, gesellschaftlich ausgehandelten Kriterien. Dabei sollte bei einer Überprüfung stets beachtet werden, dass nicht nur der Algorithmus selbst betrachtet wird, sondern auch die konkreten Auswirkungen seines Einsatzes.

„Wir denken zu sehr entweder/oder. Die einen klammern sich ans Bauchgefühl, die anderen an die Logik der Maschinen. Stattdessen sollten wir uns überlegen, wie wir das Zusammenspiel von Algorithmen und Menschen gestalten.“

Joachim Diercks (Geschäftsführer der CYQUEST GmbH) während des Robo Recruiting Workshops

Algorithmen bieten prinzipiell die Chance auf mehr Vergleichbarkeit, Effizienz und Fairness in Stellenbesetzungsverfahren. Aber wir müssen die technologiespezifischen Risiken identifizieren und ihnen begegnen – sonst werden bestehende Muster von Diskriminierung verstärkt und schlussendlich das Vertrauen in den Einsatz von Algorithmen gesenkt. Algorithmen werden in Zukunft die Personalabteilungen nicht ersetzen, aber verändern. Jobsuchende, genauso wie Arbeitgeber, Informatiker:innen, Data Scientists, Gewerkschaften und schließlich die Gesellschaft als Ganzes müssen sich darüber unterhalten, wie sie dieses Zusammenspiel von Algorithmen und Menschen gestalten wollen.

 

Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen des Projekts „Algorithmen fürs Gemeinwohl“ der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Neue Verantwortung. Bei Fragen wenden Sie sich an die beiden Ansprechpartner für das Projekt, Carla Hustedt und Tobias Knobloch.


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